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Wie sich das Leben eben anhört


Sido veröffentlicht sein viertes Studioalbum "Aggro Berlin"

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Wie sich das Leben eben anhört

Sido veröffentlicht sein viertes Studioalbum "Aggro Berlin"

04.11.2009 Das, was man in den letzten Tagen über Sido so lesen konnte, war vielleicht schon recht bezeichnend: Der Mann, der früher gerne im Ordner Gangsterrapper abgeheftet wurde, stand vor Gericht - wegen eines ganz normalen Nachbarschaftsstreits. Es ging darum, dass Sido dort parkte, wo er parken durfte und irgendjemanden das nicht passte (sagt Sido). Und dann kam's zum Showdown in einem Café, in dessen Verlauf unter anderem Kieselsteine flogen (sagt Sido). Er musste ein bisschen was zahlen und ist als Konsequenz erst mal umgezogen. In eine ruhige Wohngegend, gehobene Familienlage, vermutlich mit Garage. Sido wird erwachsen - zumindest ein bisschen.

Sido, am Anfang Deines neuen Albums "Aggro Berlin" sperrst Du die Maske weg - für immer?

Sido - D

Sido: Die Maske gehört mir gar nicht, die gehört Aggro Berlin. Und bei denen bin ich ja nun nicht mehr, sodass ich die gar nicht mehr aufsetzen könnte - und ich habe da auch keine Lust auf Stress. Außerdem verbinde ich sie einfach mit meiner Zeit bei Aggro Berlin. Da passte sie ganz gut dazu. Aber das bin ich nicht mehr. Ich weiß nicht, ob Du auf meinem neuen Album einen Song findest, der auch auf eine meiner letzten Platten gepasst hätte.

Du hast in letzter Zeit eine gewisse Ernsthaftigkeit für Dich entdeckt - unter anderem warst Du in Stefan Raabs Bundestags-Wahlsendung zu Gast ...

Sido: Politik war früher vor allem aus einem Grund nie mein Ding: Ich konnte mir diese ganzen Wahlsendungen einfach nicht anschauen. Selbst bei RTL, was ja wirklich kein so kluger Sender ist, hat sich mein Gehirn oft von selbst ausgeschaltet. Das fährt nach fünf so unverständlichen Wörtern einfach von selbst runter. Als ich mit den Leuten persönlich redete, konnte ich die unterbrechen, wenn die mit irgendwelchen Fremdwörtern daherkamen und sagen: Halt, stop, erklärt mir das.

Trotzdem hast Du Dich in der Vergangenheit in solchen Sendungen eher rargemacht ...

Sido - D

Sido: Ich war mal bei Sandra Maischberger. Angefragt wurde ich viel öfter, aber ich geh' nicht zu jeder Scheiße hin. Wenn es um Frauenrechte geht, weiß ich, da sitzt jemand wie Alice Schwarzer und wird mich so was von zerreißen - da ist ja schon vorher klar, wie das ausgeht. Die Rapper werden oft eingeladen, damit man einen Buhmann da hat. Jemanden, der schuld ist an der Verrohung der Jugend oder so.

Ist das einer der Gründe dafür, dass Deine Texte nicht mehr so drastisch sind wie früher?

Sido: Ich mache mir da keine Gedanken drüber. Ich überlege nicht, wie etwas, das ich tue, wirken könnte. Wenn ich Bock auf 'ne Politik-Sendung habe, mache ich 'ne Politik-Sendung. Wenn ich Bock auf die "Stock Car Crash Challenge" habe, mache ich eben das. Wenn ich Bock hab', in 'ner beschissenen Bratpfanne eine Bobbahn herunterzufahren, mache ich das. Wenn ich Bock habe, in Los Angeles 'ne Platte aufzunehmen, nehme ich in Los Angeles 'ne Platte auf.

Warum eigentlich Los Angeles?

Sido: Na, weil ich jetzt bei Universal bin! Vorher war ich ja bei einer kleinen Plattenfirma, da war es schon 'ne Riesensache, wenn ich nach Ibiza geflogen bin. Jetzt bin ich bei dem Label, das Udo Lindenberg jahrelang sein Hotelzimmer bezahlt hat. Die haben das sogar noch bezahlt, als er längst nicht mehr bei ihnen war, weil die Buchhaltung das verpennt hatte. Da dachte ich mir eben: Ich probier mal, was passiert, wenn ich vorschlage, in Amerika aufzunehmen. Ich hab' gesagt: Ich will ein gutes Studio, gediegen wohnen - und ein paar Wochen später war ich da.

Magst Du Amerika?

Sido - D

Sido: Ja, aber die Amerikaner mag ich nicht. Sind Quatscher. Dieses "Lebe Deinen Traum"-Ding, dieses "Auch Du kannst es schaffen", das ist einfach riesengroßer Unsinn. Das begreifen die jetzt aber gerade. Die Wirtschaftskrise holt die alle in die Realität zurück. Da gibt's jetzt Aldi. Vor ein paar Jahren wär' da noch keiner reingegangen, weil es kein 30 Meter langes Limonandenregal gibt. Das ist so pervers, ich brauche das nicht. Am Ende greift man doch eh entweder zu Fanta oder zum billigsten.

Andererseits warst Du in der "Popstars"-Jury. Eine Sendung, die genau diesen Traum proklamiert, und die Du auch auf dem neuen Album thematisierst ...

Sido: Dass man damit kein Millionär wird, weiß doch jeder, der zum Casting rennt. Ich glaube nicht, dass da viele hoffen, dass sie Stars werden. Das läuft jetzt in der achten Staffel. Jeder, der zum Casting rennt, hat doch die letzten Staffeln gesehen. Es geht bei dieser Sendung nicht darum, eine Band groß zu machen und mit ihr anschließend Geld zu verdienen. Es geht um die Geschichte. Wenn Deine Mutter Krebs hat, kommst Du weiter. Wenn Du nächste Woche stirbst, kommst Du weiter.

War Dir das im Vorfeld klar?

Sido - W

Sido: Nein. Ich dachte natürlich, dass das etwas abgebrüht sein würde und mal der ein oder andere weiterkommt, den man eigentlich nicht mitnehmen will. Das war mir klar. Aber ich dachte mir, am Ende des Tages finden wir 'ne krasse Band, aus der wirklich was wird. Ich dachte, wir kümmern uns. Ich habe das wirklich für die Musik gemacht, ich wurde nicht mal krass dafür bezahlt ...

Deine Freundin Doreen war selbst Mitglied der "Popstars"-Gewinner Nu Pagadi. Hätte sie Dir das alles nicht vorher sagen können?

Sido: Für sie war das, was ich ihr alles erzählte, vorher auch nur reine Spekulation. Sie war ja auf der anderen Seite. Aber auch hier gilt: Ich habe das gemacht, weil ich Bock drauf hätte, sie hätte mich also sicher nicht dran hindern können. Das war keine Promo-Aktion oder so, sondern ich wollte das einfach machen!

Gab es Momente, in denen Du die Jury verlassen wolltest?

Sido: Ja. Ich war kurz davor zu gehen. Da hatte ein schlauer Journalist kurz vorm Finale aus mir herausbekommen, dass ich die Sendung scheiße finde. Da gab es ein Gequatsche vom Feinsten, Detlef fühlte sich persönlich angegriffen, und so weiter.

Vor vier, fünf Jahren hätte niemand erwartet, dass Du in der Jury einer Casting-Show sitzt. Wundert es Dich manchmal, dass Du so schnell vom Enfant terrible zum Konsens-Popstar aufgestiegen bist?

Sido: Ich hab's ja nie drauf angelegt, ein Gangster zu sein. Das hat die Presse damals aus mir gemacht. Und natürlich hat sich die Musik, die ich mache, verändert. Aber ich habe mich in meiner Attitüde nicht verändert. Ich habe mich damals für meine Musik nicht verstellt und tue es heute nicht. Du darfst nicht vergessen: Als ich mein erstes Album aufnahm, habe ich auf der Straße gelebt. Danach hatten wir eine Wohnung für 160 Mark im dritten Hinterhof, die von Mäusen befallen war. Ich hatte keine Krankenversicherung, mein Ausweis war abgelaufen - ich hätte am nächsten Tag tot sein können, es hätte niemanden interessiert. So war mein Leben, und so soll sich das gefälligst auch anhören.

Wenn es damals um die Liebe ging, warst Du meistens sehr direkt, sagtest, dass Du Dich niemals verlieben würdest. Jetzt bist Du seit über vier Jahren mit Doreen liiert ...

Sido: Ich glaubte damals tatsächlich nicht daran. Aber da musst Du eben berücksichtigen, wie mein Leben damals war. Ich lebte auf der Straße und nahm jede Menge Drogen. Als ich damals Interviews gab, war ich sowas von weggeschossen, XTC nahm ich exzessiv, andere Drogen auch. Und alles, was vorher mit Liebe zu tun hatte, funktionierte eben nicht. Deswegen dachte ich mir irgendwann: Jetzt wird nur noch gefickt.

Das Video zu "Hey Du" wurde in einer U-Bahn gedreht. Fährst Du noch U-Bahn?

Sido: Nein. Als wir das Video drehten, war ich das erste Mal seit zehn Jahren wieder in einer U-Bahn. Es geht einfach nicht. Als "Mein Block" in den Charts war, passierten über Nacht Dinge, die Du Dir nicht vorstellen kannst. Damals haben ganze Schulbusse vorm Block gehalten. Morgens, wenn ich runterkam, waren da die ersten Kids vorm Haus. Da standen manchmal 150 Leute herum. Das ganze Treppenhaus war vollgeschrieben. Stell Dir mal vor, wie das in der U-Bahn wäre. Ich werde nicht gerne angegafft wie so ein Affe. Das ist mir unangenehm.

Wie schwierig ist es, angesichts dieser Popularität alte Freundschaften aufrecht zu erhalten? Aus dem Märkischen Viertel musstest Du damals wegziehen ...

Sido: Es ist sehr schwierig. Man hat am Anfang oft gehört, dass Leute sagten, ich würde sie hängen lassen und so. Aber ich hatte ja keine Verpflichtung, irgendjemanden zu retten oder so. Und das ist dann so ein Teufelskreis, weil viele dann denken, Du wärst arrogant oder so, obwohl man sich nur zu schützen versucht. Meinen engsten Freunden ging es neben mir immer gut. Und denen geht es heute noch gut neben mir. Wenn's denen an etwas fehlt, helfe ich ihnen. Viele arbeiten sogar für mich, darauf achte ich. Wenn's Geld an mir zu verdienen gibt, lasse ich das Freunde machen. ~ Jochen Overbeck (teleschau)


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