American Classic

Zu seiner Verteidigung ist zu sagen: Es ist sicher weder Altersstarrsinn noch aufgesetzt jugendlicher Experimentierdrang, der Nelson jetzt zu diesem Unternehmen treibt. Vielmehr soll "American Classic" eine Fortsetzung seines 1979er-Albums "Stardust" sein, auf dem er sich schon einmal amerikanischen Pop- und Jazzstandards annahm und das - zu Recht - als Meisterwerk gilt.

Auch jetzt in der Neuauflage macht Nelson eigentlich fast nichts falsch. Behutsam, bedächtig und mit außergewöhnlich einfühlsamer Stimme bewegt sich das 76-jährige (vermeintliche) Raubein auf vielleicht nicht angestammtem, aber doch bekanntem Jazz-Terrain. Im Vergleich zu "Stardust" jedoch fällt ein Unterschied ins Gehör: Damals ließ der Country-Recke seine eigene Band musizieren, dieses Mal verlässt er sich - leider all zu sehr - auf hochklassige Studiomusiker. Zudem hat er mit Diana Krall ("If I Had You") und Norah Jones ("Baby, It's Cold Outside") zwei hochkarätige Diven als Duettpartnerinnen. Das Ergebnis ist dementsprechend sauber gespielter und produzierter, fast immer geschmackssicherer Jazzpop - allein "Fly Me To The Moon" verdutzt den Hörer mit einem seltsamen Alleinunterhalter-Keyboard.

Aufrührerisch, gar gegen das Gesetz ist das alles aber nicht, eher konventionell. Müsste es vielleicht auch nicht, wenn man ab und an den Dreck unter den Fingernägeln spüren könnte, den rauen Charme oder den Witz, der Nelson sonst - in egal welcher Rolle - auszeichnet. Als gescheiterter Außenseiter (das Reggae-Album!) ist er definitiv viel überzeugender.