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Es ist alles in Ordnung


"Heligoland" und die neue Harmonie im Massive-Attack-Lager

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Es ist alles in Ordnung

"Heligoland" und die neue Harmonie im Massive-Attack-Lager

08.02.2010 Es gab Zeiten, in denen waren Massive Attack beides: einerseits Visionäre, Architekten eines neuen Genres. Andererseits aber auch eine der Gruppen, für die es den schönen englischen Begriff "Household Name" gibt. Also eine, deren Musik nicht nur auf den coolen Partys lief, sondern über Radio, Werbespots und Fernsehen so fest im Bewusstsein des Mainstreams verankert war, dass auch Lieschen Müller an der Supermarktkasse mitsummen konnte, wenn der Hit kam. Das Genre wurde Triphop genannt, hatte Bristol als Keimzelle und wurde neben Massive Attack vor allem von Portishead und Tricky geprägt. Musikalische Deutungsmerkmale waren ein dicker Beat, eine düstere Grundstimmung und eine geschickte Vermengung elektronischer und analoger Instrumentierung. Der Hit hieß "Teardrop", erschien 1997 und blieb vor allem wegen der präzisen Gastvocals von Elisabeth Frazer in jedem Ohr hängen. Jetzt erscheint mit "Heligoland" das neue Studioalbum der Band, die heute aus den Gründungsmitgliedern Robert "3D" Del Naja und Grantley "Daddy G" Marshall besteht.

"Heligoland" ist das englische Wort für die Insel Helgoland. "Alleine vom Klang her ist das wunderschön", erklärt Daddy G: "Vor allem aber steckt wahnsinnig viel drin. Es ist so eine Art Anagramm. 'Holyland' kannst du rauslesen. Oder auch 'Legoland'." Gleichzeitig sei die wechselhafte Geschichte der Insel aber auch ein Lehrstück in Sachen Nationalismus: "Helgoland war im Verlauf der Jahre dänisch, britisch und deutsch, nach dem Zweiten Weltkrieg war es ein riesengroßer Bombenabwurfplatz für die Engländer. Das war zu einer Zeit, in der Deutsche und Briten Feinde waren. Es besteht also durchaus ein Zusammenhang zwischen der Geschichte der Insel und der Tatsache, dass wir hier überhaupt reden können."

Massive Attack - C

Dass das Gespräch mit Daddy G doch noch stattfindet, ist ein kleines Wunder. Massive Attack geben nicht sonderlich gerne Interviews, entsprechend oft fallen sie aus oder werden verschoben. Über die Musik zu sprechen - das ist in Ordnung. Kommt die Sprache jedoch auf das Bandgefüge, stockt Daddy G. Das ist verständlich, denn auch wenn er und sein Kollege 3D sich seit bald 30 Jahre kennen, beide demselben Bristoler Künstlerkollektiv The Wild Bunch entstammen: Oft genug krachte es. Es krachte sogar so sehr, dass 3D sich dafür entschied, das letzte Album "100th Window" (2003) komplett im Alleingang aufzunehmen.

Ein schlimmer Bruch sei das jedoch nicht gewesen, betont Daddy G: "Das wird überbewertet. Klar war ich bei den Aufnahmen nicht dabei. Aber wir haben direkt danach eine Tour zu dem Album gemacht. Seitdem folgten drei weitere, wir nahmen einen Soundtrack auf und kuratierten das Meltdown Festival. Glaube mir, 3D und ich mögen oft fundamental verschiedener Ansicht sein. Aber an sich ist bei uns alles in bester Ordnung."

Dass seit "100th Window" sieben Jahre ins Land gingen, sei jenem durchaus straffen Zeitplan verschuldet, aber auch einer gewissen Orientierungslosigkeit am Anfang des Arbeitsprozesses zum damals noch unbetitelten "Heligoland". Etwa 20 Songs nahmen Massive Attack auf - und schmissen sie irgendwann weg. Weil sie kalt klangen, nicht richtig, nicht so unmittelbar, wie die beiden sich das vorgestellt hatten. Den Anstoß gab schließlich einer, dessen Motivationsfähigkeiten bekannt sind: Damon Albarn, bekannt von Blur, Gorillaz und The Good, The Bad & The Queen, lud Massive Attack in sein Studio ein - unter der Bedingung, dass sie etwas rascher arbeiteten als sonst: "Die Sessions mit ihm waren unfassbar befreiend. Er ist ein Visionär, einer der in jeder Musikrichtung zu Hause ist und deshalb überall Input gibt. Auch wenn das vielleicht seltsam klingt: Damon ist es zu verdanken, dass die Platte letztendlich sehr schnell entstand. Neun Monate, länger haben wir eigentlich nicht gebraucht."

Ebenso wichtig sei die Zusammenarbeit mit den anderen Gästen gewesen: Da findet sich etwa Martina Topley-Bird, seit Langem im Umfeld der Band und mittlerweile wohl das, was man eine Freundin nennt, oder Guy Garvey von den britischen Indierockern Elbow, mit dem Massive Attack nicht nur aufnahmen, sondern auch mehrere Abende lang in ihrer Heimatstadt Bristol zusammensaßen, tranken, philosophierten.

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Braucht man diese Nähe, um zusammenzuarbeiten? Hilft es einem Kreativprozess, wenn die Beteiligten sich über musikalische Gesichtspunkte hinaus schätzen? Daddy G denkt nach: "Eigentlich schon. Eine gemeinsame Wellenlänge macht es einfacher. Die haben wir auf dieser Platte mit jedem der Beteiligten. Nur Hope Sandoval, die auf 'Paradise Circus' singt, lernten wir nicht persönlich kennen. Sie lebt in den Vereinigten Staaten, und irgendwie ließen sich unsere Terminkalender nicht synchronisieren." Verblüffend, dass sich Sandoval und Massive Attack nicht irgendwann über den Weg liefen: Ihre Biografie ist zumindest, was zeitliche Parameter angeht, eine ähnliche: Sandoval sang früher in der Folkrock-Band Mazzy Star, die wie Daddy G und 3D in den frühen 90er-Jahren ein Szene-Darling in Großbritannien war.

Von den Sessions mit ihr ist einiges übrig geblieben - für die Aufnahmen mit Garvey und Topley-Bird gilt Gleiches. Deshalb werde man in nicht allzu ferner Zukunft eine EP nachschieben. Massive Attack denken aber schon weiter, Richtung nächstes Album. Auf dem Zettel für zukünftige Kollaborationen steht schließlich noch ein gutes Dutzend weiterer Namen. Tricky etwa, der schon auf dem bald 20 Jahre alten Massive-Attack-Debüt "Blue Lines" rappte, oder David Bowie, der eigentlich für "Heligoland" in der Planung war, dann aber aus gesundheitlichen Gründen passen musste. "Es gibt so viele großartige Musiker da draußen", sagt Daddy G. "Auch Mos Def hätten wir gerne auf einer Platte, oder Aaron Neville. Die Liste ist endlos." Bleibt zu hoffen, dass bis zur nächsten Albumveröffentlichung der Bristoler Band nicht wieder sieben Jahre ins Land gehen. ~ Jochen Overbeck (teleschau)


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