Chris Cornell

"Viele denken, ich bin durchgedreht"


Rock-Sänger Chris Cornell wagt sich mit "Scream" auf die Tanzfläche

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"Viele denken, ich bin durchgedreht"

Rock-Sänger Chris Cornell wagt sich mit "Scream" auf die Tanzfläche

06.03.2009 Er war eine der markantesten Stimmen der Rockmusik der neunziger Jahre: Chris Cornell zeichnete als Frontmann der Band Soundgarden für Welthits wie "Black Hole Sun" verantwortlich. Neben Kurt Cobain von Nirvana und Eddie Vedder von Pearl Jam gilt er bis heute als das Gesicht der Grunge-Bewegung, seine zweite Karriere mit der Hardrock-Band Audioslave war fast ebenso erfolgreich. Kein Wunder: Immerhin spielte er dort mit den ehemaligen Mitgliedern der Kultband Rage Against The Machine. Jetzt, mit 44 Jahren, pfeift Cornell auf sein Image und alle Konventionen: Sein neues Album "Scream" ist ein tanzbares Club-Album, Cornell singt über die Beats von HipHop-Produzent Timbaland. Das ist vor allem eins: überraschend. Gut so, sagt Cornell.

Nicht nur Deine Fans werden über Dein neues Album sehr erstaunt sein. Du machst jetzt beatlastigen Clubsound, produziert vom HipHop-Chartstürmer Timbaland, der sonst für Justin Timberlake und Missy Elliott arbeitet. Warum war es Zeit für so einen radikalen Neuanfang?

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Chris Cornell: Ich weiß nicht, ob es Zeit dafür war. Es ist einfach passiert. Eigentlich habe ich nur jemand gesucht, der ein paar Songs von meinem letzten Album remixt. Da fiel der Name Timbaland. Der hat ja schon öfter mit Rockbands gearbeitet, zum Beispiel mit The Hives. Einer meiner Mitarbeiter kennt Timbalands Familie, der hat mir seine Nummer gegeben. Timbaland wollte aber keine Remixe machen, er hatte Bock auf was Neues. Er zitierte gleich aus einem alten Song von mir, er entpuppte sich tatsächlich als Fan. Da dachte ich mir: Was soll's, lass uns mal was wagen, lass uns gleich ein ganzes Album machen, mein drittes Soloalbum. Nach zehn Minuten waren wir uns einig.

Hast Du denn früher schon Club-Musik gehört? Man kann sich das kaum vorstellen, wenn man an Soundgarden und Audioslave denkt ...

Cornell: Nein, das habe ich wirklich nicht. Höchstens mal bei Festivals, wenn ein DJ live auflegt. Ich bin auch überhaupt nicht der Typ, der in Clubs geht. Nie. Für das Album war das sogar gut, glaube ich. Denn dadurch habe ich den Fokus immer noch auf die einzelnen Songs gelegt. Tatsächlich musste ich das Singen noch mal komplett neu lernen. Beim HipHop ist der ganze Gesang auf den Beat abgestimmt. Da musst du dich anpassen, sonst klappt das nicht. Das hat eine ganz eigene Dynamik. Rocksänger singen eher so zwischen den Beats, wie Frank Sinatra vielleicht. Das war eine ganz schöne Umstellung. Ich habe mir viel Stevie Wonder und Ray Charles angehört. Die haben diese andere Art zu singen, total rhythmisch. Ich bin ja eigentlich gewohnt, dass der Drummer schneller wird und richtig loslegt, wenn es emotional wird. Der Beat aus dem Computer macht das natürlich nicht. Das war komplett neu für mich und gar nicht so einfach.

Gab es auch Beats, die Du Dir verbeten hast, weil sie Dir als Rockfan dann doch zu heftig waren?

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Cornell: Meine Philosophie ist inzwischen: Du weißt nie, was am Ende herauskommt. Du weißt nicht, woraus wirklich etwas Gutes entsteht. Etwas, das sich am Anfang schlimm anfühlt, kann am Ende zum besten Song des Albums werden. Es gab diesen einen Beat, den ich überhaupt nicht mochte. Der klang einfach zu sehr nach Musik, die ich schrecklich finde, zu sehr nach Disko. Heute ist er auf dem Album. Man sollte einen Song immer erst beurteilen, wenn er wirklich fertig ist. Du musst ihn dann ja noch lange nicht aufs Album nehmen. So schreibe ich auch die Texte. Manchmal schaue ich mir morgens Zeilen an, die ich am Vorabend geschrieben habe, und verbrenne sie, damit sie wirklich niemand sieht, ich lösche die Datei auf dem Computer. Aber ich mache die Dinge erst einmal fertig. Ich höre nicht nach drei Wörtern auf und denke, das ist nichts.

Du hast mal gesagt, dass Du früher manchmal neidisch warst auf HipHop-Künstler. Was kann HipHop Dir geben, das Rock nicht kann?

Cornell: Nehmen wir zum Beispiel mal den Rapper Lil Wayne. Der sitzt den ganzen Tag im Studio und probiert Sachen aus. Er experimentiert, nimmt jede verrückte Idee auf, die ihm in den Sinn kommt. Das ist einfach absolute Freiheit. Ich glaube, das ist der Punkt, an dem Rockbands auseinanderbrechen. Bei einer Rockband liegt die Herausforderung darin, Grenzen zu überschreiten, Dinge zu wagen, die eigentlich nicht dazu passen, wofür die Band steht. Und das muss man gemeinsam schaffen. Man muss sich darin einig sein. Ein Beispiel: "Badmotorfinger" war ein sehr aggressives, experimentelles Hardrock-Album, danach nahmen wir mit Soundgarden "Superunknown" auf, so etwas wie unser Weißes Album. Da wagten wir etwas. Mit Songs, auf denen der Drummer Gitarre spielte. Der Bassist sang ein paar Songs. Damit machten wir wirklich die Türen auf. Und da kamen dann so erfolgreiche Songs wie "Black Hole Sun" raus. Es ist aber schwer, sich als Teil einer Band wirklich zu verändern.

Zu viele Kompromisse?

Cornell: Man ist einfach schon durch die Instrumente total eingeschränkt. Bei einer Band wie U2 gibt es zum Beispiel einen Typ, der nichts macht als Bassgitarre spielen. Und wenn du ein Viertel der Band hast, das nichts macht, außer Bassgitarre zu spielen, wie erklärst du dann deinen Bandkollegen, dass du eine Platte machen willst, auf der die Bassgitarre keine Rolle spielt? Das klappt so nicht. Das ist eigentlich ein gutes Beispiel dafür, warum ich dieses Album machen wollte, jetzt, mit Timbaland. Nicht als Mitglied einer Band, als Solokünstler. Die Chance musste ich nutzen, etwas komplett anderes zu machen. Hätte ich sagen sollen: Ich bin jetzt solo unterwegs, mache aber den gleichen Kram wie immer? Songs schreiben, zu Hause die Demos aufnehmen und dann mit ein paar Gitarristen ins Studio gehen? Warum nicht mal was total anderes machen?

Du warst jetzt so viele Jahre in Bands. Möchtest Du ab jetzt wirklich dauerhaft alleine weitermachen oder wird es auf lange Sicht doch wieder eine Band geben?

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Cornell: Ich werde mich auf jeden Fall weiter auf meine Solokarriere konzentrieren. Ich war lange genug in Bands. Als Solokünstler ist dein größtes Problem, dich zu entscheiden, was du wirklich machen willst. Denn du kannst einfach alles machen. Diese freien Entscheidungen inspirieren mich. Es ist der Gegensatz davon in einer Band zu sein. In einer Band hast du all diese Grenzen. Und du musst so kreativ sein, wie's innerhalb dieser Grenzen geht. Das macht schon Spaß, ich habe das immer genossen. Ich bin Experte, was das angeht. Aber jetzt lebe ich in einer Welt, in der es für mich keine Grenzen mehr gibt. Ich muss selbst Entscheidungen treffen und den kreativen Prozess ganz alleine durchmachen. Das ist vielleicht eine noch größere Herausforderung. Aber so will ich weitermachen.

Du bist jetzt schon so viele Jahre bekannt und erfolgreich, hast so viele unterschiedliche Dinge gemacht. Wo, würdest Du sagen, stehst Du gerade in Deinem Leben und Deiner Karriere?

Cornell: Ich befinde mich in totaler musikalischer Freiheit. Was Konzerte angeht, bin ich besser drauf als jemals. Weil ich zum ersten Mal im Leben als Sänger wirklich auf einen großen Katalog zurückgreifen kann. Egal, ob es um die neuen Songs geht oder die echten Rocksongs von den alten Alben. Manchmal greife ich jetzt einfach zur Akustikgitarre und singe dazu. Es gibt keine musikalischen Tabus mehr für mich. Am Ende der Konzerte habe ich das Gefühl, dem Publikum musikalisch wirklich etwas mitgegeben zu haben. Ich verlasse mich nicht auf irgendwelche aggressiven Rockklischees, mache Instrumente kaputt, zünde irgendetwas an oder drehe die Lautstärke bis zum Anschlag auf. Mir geht's heute darum, die Dinge und Einflüsse anzunehmen, die auf mich zukommen und das alles auf die Bühne zu bringen. Und ich weiß heute, dass ich das kann. Ich habe diese Musik, diese Songs, meine ganze Karriere im Rücken. Heute kann ich das alles machen, und das befriedigt mich.

Wie haben eigentlich Deine Freunde und alten Bandkollegen auf Deinen neuen Sound reagiert?

Cornell: Viele denken, ich bin durchgedreht. Aber das ist hier keine Schönheits-OP, bei der ich mir Teile meiner Nase abnehmen lasse und mein Gesicht dauerhaft verunstalte. Wo die Leute sagen: Der ist ja verrückt - und ich muss mein ganzes Leben dann so rumlaufen. Hier geht es um Musik, um einen kreativen Prozess, ein Album. Dass ich jetzt ein ganz anderes Album gemacht habe als sonst, heißt nicht, dass es keinen Weg zurück gibt. Vielleicht mache ich nächstes Jahr das aggressivste Rockalbum, das ich jemals aufgenommen habe. Alles ist möglich. ~ Andrea Schmidt (teleschau)


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