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Mainstream ist der neue Indie


Die Berliner Newcomer Radiopilot zwischen Kommerz und Integrität

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Mainstream ist der neue Indie

Die Berliner Newcomer Radiopilot zwischen Kommerz und Integrität

22.08.2008 Vermutlich ist es momentan kein allzu dankbarer Zeitpunkt, als neue deutsche Band seine Nische in der Pop-Landschaft der Berliner Republik zu finden. Auf der einen Seite prangen die wirkungsmächtigen Diskursgrößen um die intellektuellen Alpha-Bands Blumfeld (trotz Auflösung) und Tocotronic. Auf der anderen, viel befahrenen Straßenseite spielen Ich+Ich, Wir sind Helden, Juli und Konsorten - reißend erfolgreich, wie es deutschsprachige Musik lange nicht war. Aber eben auch nicht allzu wohlwollend beleumundet. Als gestandene Mitt- bis Endzwanziger haben Radiopilot aus Berlin womöglich gar nicht mehr die Zeit und Muße, in diesem schwierigen Umfeld lange nach dem eigenen Weg zu fahnden. Möglichst rasch bedarf es eines eigenständigen, unabhängigen Profils. Und bitteschön darf's zugleich aus dem Stand erfolgreich sein.

"Leben passiert", so der Titel ihres Debüt-Albums, formuliert mit opulent arrangiertem und reif produziertem Breitwand-Pop jedenfalls gleich unverblümt größere Ansprüche. "So tickt die Band", erklärt der Sänger des Quintetts, Lukas Pizon. "Was wir als Vorproduktion geleistet hatten, bevor wir ins Studio gingen, klang auch schon relativ groß und bombastisch." Erstaunlich für einen Erstling ist auch die Vielfalt der musikalischen Mittel. Von klassischen Gitarrenarrangements reicht der Bogen über fluffige Bläserpassagen bis zu elektronischen Beats. "Das ist konzeptionell so angelegt", erläutert Pizon auf Nachfrage. "Wir haben in den vergangenen drei Jahren ausgetestet, was wir alles machen können, das trotzdem noch unter dem Banner 'Pop' funktioniert. Ein reines Band-Album hätte mich sehr gelangweilt."

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Bei solch ambitionierter Herangehensweise überrascht es nicht, dass die Wahl der Band auf den Bochumer Juli- und Sportfreunde-Stiller-Produzenten O.L.A.F. Opal fiel - fast schon einen Erfolgsgaranten. Doch Opal sei eben nicht nur das "Mainstream-Monster", wie Pizon bemerkt, sondern zugleich der "Indie-Papst", der in den 90-ern gemeinsam mit Miles oder Naked Lunch großartige Platten herausgebracht habe. Damit verkörpert er treffend jenen Widerspruch zwischen Kommerz und künstlerischer Integrität, der offenbar nirgends so rückhaltlos tobt wie in Berlin.

"Wir haben schon versucht, ein wenig Hauptstadt-Appeal einzubauen", erklärt Pizon, der überdies die Britpop-Welle der 90er-Jahre um Oasis und Blur als Hauptinspiration nennt. "Andererseits möchten wir uns auch ein Stück weit von Berlin distanzieren, weil nicht immer alles gut ist, was von da kommt." Entfacht die dortige Indie-Szene, denn tatsächlich einen derartigen diktatorischen Druck, von dem bisweilen zu lesen ist? "Ja, das ist so. Ich habe vor ein paar Jahren in kleinen Indie-Bands in Berlin gespielt. Und wenn man da sagt, dass man mehr als 1.000 Platten verkaufen will, ist man gleich unten durch. Der Indie ist inzwischen so verkrampft, dass man Mainstream machen muss, um frei zu sein. Dieser Punk-Gedanke ist ganz wichtig für uns."

Doch so ganz unangepasst kommt man im Mainstream mit seinem komplizierten, unausgesprochenen Regelwerk eben auch nicht durch. Die zurückliegenden Support-Touren mit großen Acts seien in dieser Hinsicht sehr lehrreich gewesen: "Da kriegt man mit, wie das Mainstream-Business eigentlich funktioniert." Im Fall von Moneybrother sei die Band sehr nett gewesen, doch das Publikum wenig empfänglich: "Dort haben wir das erste Mal rauen Gegenwind zu spüren bekommen."

Bei der Tour mit Ich+Ich habe er dann gemerkt, dass man sich auf das Publikum einstellen müsse, wolle man nicht mit Eiern von der Bühne gejagt werden: "Ich habe gelernt, freundlich zu sein, wirklich freundlich." Mit Ich+Ich-Sänger Adel Tawil habe sich Pizon länger über das Thema unterhalten. Der sei auch nicht wirklich glücklich über sein Schwiegersohn-Image: "Aber bei dem Publikum, das er zieht, muss man genau so sein. Ich kann es mir jetzt nicht mehr leisten, verstörende, doppeldeutige Ansagen zu machen. Ich habe gelernt, die Leute abzuholen."

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Ist diese Einsicht vielleicht auch dem großen Erwartungsdruck geschuldet, den ein Major-Vertrag so mit sich bringt? Mit dem Druck sei das so eine Sache, reflektiert Pizon: Natürlich sei man gespannt, wo die Reise in die Charts endet und was von den Support-Touren bei den Menschen hängen geblieben ist. Berechtigterweise fügt er jedoch an: "Wenn man bei einem Indie-Label ist und keine Platten verkauft, hat man genau den gleichen Druck. Das sind auch kommerzielle Unternehmen, die ihre Ausgaben wieder einfahren müssen."

Bei so viel Selbstbewusstsein und Klarsicht irritiert zuletzt dann doch ein wenig der fatalistische Unterton des Albumtitels "Leben passiert". Der, so erklärt Pizon, sei jedoch in erster Linie der Verwunderung darüber geschuldet, dass man plötzlich ins große Musikgeschäft gerutscht sei, ohne, dass der Gang der Dinge groß beeinflussbar gewesen wäre. Und was hat es mit der angeblich verwirrten Generation auf sich, von der in der Single "OK" die Rede ist? "Gute Frage", zeigt sich der Sänger kurz - nun - verwirrt. "Ich bin da eher von mir selber ausgegangen. Ich wusste als Jugendlicher lange nicht, was ich mit meinem Leben anfangen soll. Und wenn man sich die Jugend insgesamt anguckt, dann ist das auch ein Problem des Überangebots. Man kann so viel machen, aber es fehlt fast immer die Initialzündung, etwas auf die Beine zu stellen. Das ist natürlich auch ein Großstadt-Problem."

Fast möchte man die Hauptstädter angesichts solch widriger Lebensumstände bemitleiden. Doch der sehr gelöste und aufgeräumte Pizon referiert auch über viel schmerzhaftere Erfahrungen mit einem befreiten Lachen. Auf Nachfrage, was es mit der reißerischen Auskunft seiner Plattenfirma auf sich habe, wonach die Band aus zornigen Draufgängern bestünde, die mutmaßlich Leute verprügeln würden, wenn sie nicht Musiker wären, erläutert er: "Das Zitat war eher provokativ gemeint und stammt aus einer Zeit, als ich im Berliner Problembezirk Neukölln gewohnt habe und bei mir um die Ecke verprügelt worden bin. Ich glaube, ich provoziere das ein bisschen. Wenn ich in Neukölln die Straße entlanglaufe, werde ich gleich angemacht. Ich weiß nicht, woran das liegt, ich versuche schon, niemanden mehr anzuschauen." Eine feindliche Welt, auf und abseits des Mainstreams. Wenigstens werfen sie auf dem Kiez nicht mit Eiern. ~ Jens Szameit (teleschau)


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