Deutschland radelt wieder. "Wir fahren mit dem Fahrrad um den Platz", frohlocken Radiopilot aus Berlin auf ihrer ersten Single "Fahrrad", als hätte es das bissige Radfahrer-Bashing aus Tocotronics "Freiburg" nie gegeben. "Leben passiert" hat das neueste Gitarrenquartett aus der Hauptstadt sein Album-Debüt reichlich schicksalsergeben benannt. Doch die eingeschlagene Stoßrichtung, das wird rasch klar, ist damit nicht recht erfasst. Radiopilot ergehen sich weder in verkopfter Independent-Manier, noch in weinerlicher Außenseiter-Pose. Die mit Ende 20 nicht mehr ganz so jugendlichen Newcomer haben offenbar keine Zeit zu verlieren und präsentieren zum Auftakt einen ausgefeilten und fast protzig produzierten Longplayer, der einigermaßen ungeniert in die höheren Chart-Regionen schielt. ~ Jens Szameit (teleschau) aufklappen »
Gleich der Opener "Du + ich in Stereo" ist opulent inszenierter Breitwandpop, mit dem die Debütanten beherzt in die Vollen gehen. Sänger Lukas Pizon belehnt dabei den zerdehnten, stets etwas selbstverliebten Duktus des Oasis-Frontmans Liam Gallagher. Auch der fluffige Pop der frühen Supergrass kommt gelegentlich in den Sinn. Etwa bei der jüngsten Single "Monster", bei der es etwas platt und dubios im textlichen Rückgriff auf den Supergrass-Schlager "Alright" heißt: "Ich bin jung, habe keine Angst / Ich will leben, weil ich es kann."
Auch das ganz ähnlich strukturierte "OK" zeigt mit adretten Bläserarrangements viel Popgespür. "Die Medien setzen uns schachmatt", heißt es hier. "Frustriert" und "irritiert" gibt sich Lukas Pizon und attestiert diesen Zustand gleich seiner gesamten Generation - gleichwohl, ohne dass näher ersichtlich würde, woraus sich die Teenage Angst in der Berliner Republik nun genau speist. Das ist aber vielleicht auch nicht entscheidend. Denn, so lernen wir im vorantreibenden Chorus: "Es ist OK" - irgendwie.
So erweist sich die Bruchstelle zwischen den gefälligen Poparrangements und den mal gewitzt anklagenden, bald schwärmerischen, aber nie verbindlichen Textentwürfen als Haken an "Leben passiert". "Sing doch" und das verkitschte "Zoogedanken" driften aufgrund allzu planer Bauweise und arg ins Seichte greifender Lyrik am stärksten in die gefühlsduselige Schlagerecke. Zwar haben Blumfeld einst auch das Werk der Münchner Freiheit geadelt, doch voraussetzungslos und naiv funktioniert der Rückgriff auf deren diffiziles Inventar eben nicht.
Vielleicht liegt die Crux von "Leben passiert" paradoxerweise auch in der größten Stärke der Platte: der hörbaren Verneigung vor dem Brit-Pop der 90er-Jahre. Denn auch hier gilt: Die herrlichen, unbekümmerten Allgemeinplätze des angloamerikanischen Pop laufen in ihrer unreflektierten, deutschsprachigen Adaption schnell auf Grund. Das mag ungerecht sein, ist letztlich aber auch irgendwie "OK".