Als Morrissey-Fan hat man's im Grunde leicht. Wenn einmal ein Werk des Dichters, der nie ein Instrument erlernte, nicht allerhöchsten Weihen genügt, dann sind im Zweifel andere Schuld. Die hemdsärmelige Backingband etwa, die stets beim Songwriting hilft. Und für Gestrige liegt's ganz allgemein an der Abwesenheit des genialischen Korrektivs Johnny Marr. So war die triumphale Rückmeldung "You Are The Quarry" 2004 vielleicht doch einen Tick zu künstlich produziert. Und gewiss war das gute "Ringleader Of The Tormentors" 2006 eine Spur zu rustikal. Gegen die Rockismen seiner "Boys" stemmt sich der Dandy auch auf "Years Of Refusal" mit Leidenschaft, einer Platte, auf der nicht ganz grundlos vermerkt ist, man möge sie "very loud" hören. ~ Jens Szameit (teleschau) aufklappen »
Natürlich beißt sich der etwas rüpelhafte Eifer der Band mit den kultivierten Keilereien des Sängers. So etwa bei "All You Need Is Me" und "That's How People Grow Up". Dass die beiden Bonussingles der "Greatest Hits"-Sammlung aus dem vergangenen Jahr, die da schon nicht die allergrößte Zierde waren, hier erneut auftauchen, überrascht ein wenig. Zumal das übrige Material eigentlich nicht den Verdacht schürt, dem Meister habe es an Inspiration gemangelt.
Aus Rom war der leidende Camden-Exilant nach Los Angeles zurückgekehrt, von wo aus er sich gedanklich der nächsten europäischen Metropole an den Hals warf: "I'm Throwing My Arms Around Paris" verkündet die umwerfende Albumsingle in ausladender Geste, denn: "Only stone and steel accept my love". Die unerwiderte Liebe ist Morrisseys ältestes Thema, eine Existenznot, der er einmal mehr umfänglich Rechnung trägt. "I'm OK By Myself", will er einem im Schlusstrack weismachen, aber ach: "Could this be an arm around my waist? / Well, surely the hand contains a knife".
Man hätte es wissen können, die Moderne kennt keine Liebe, das lernt man gleich zu Beginn des Albums. Was wiederum die Beleidigungsarie von "It's Not Your Birthday Anymore" begreiflich macht, einer etwas eindimensionalen Rockhymne. Anderswo blitzt dann aber doch musikalische Finesse auf. "When Last I Spoke To Carol" schwebt erhaben auf galoppierendem Schlagzeug und Mariachi-Bläsern. Das mitreißende "One Day Goodbye Will Be Farewell" greift die selben Stilprinzipien noch mal auf.
Am Ende lebt auch "Years Of Refusal" von all den geliebten Morrissismen, von der Leidenschaft, dem Dünkel, dem Gift, der Galle, der Maßlosigkeit. Mag schon sein, dass das Gesamtpaket einmal konziser geschnürt war. Und Morrissey, eine der klügsten, wenngleich nicht vernunftbegabtesten Gestalten des Pop, ist zuzutrauen, dass er das weiß. So lässt sich die unfassbar pathetische Streicherballade "You Were Good In Your Time" auch als narzisstische Selbstspiegelung begreifen: "You said more in one day / Than most people say / In a lifetime, it was our time / And we thank you." So ist das und nicht anders.