Keane

"London ist klaustrophobisch und müde"


Der Erfolg brachte die Britpopper zurück auf den Boden der Tatsachen

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"London ist klaustrophobisch und müde"

Der Erfolg brachte die Britpopper zurück auf den Boden der Tatsachen

10.10.2008 Auch die Engländer Keane gehören zu jenen Sandkastenbands. Musiker, die sich in ihren Teenagerjahren trafen, die Freunde waren, bis der große Erfolg kam. Und die Fallen des Popstardaseins. Aber den Drogen- und Alkoholentzug ihres Sängers Tom Chaplin hat das Trio aus dem eher unglamourösen 6.000-Einwohner-Ort Battle, bis dahin nur bekannt durch die historische Schlacht bei Hastings, dennoch überlebt. Richard David Hughes, Tim Rice-Oxley und Chaplin haben ihre ganz persönliche Zerreißprobe hinter sich. Und ihr drittes Album "Perfect Symmetry" zeigt, dass sie nicht mehr "Under the Iron Sea" stecken, sie klingen weniger düster, sondern bunt. Das Trio legt sich nicht mehr fest, kreiert verschiedene Stimmungen.

Tim Rice-Oxley atmet lange und hörbar aus, er ist erleichtert. "Ich bin sehr froh, dass das deutlich wird", sagt er, nachdem er die Worte "weniger düster", "abwechslungsreich" und "farbig" gehört hat. Er sitzt recht aufrecht auf einem Sofa, zwei neonfarbene Bändchen hängen aus seinem Kapuzenpulli, sie sind das einzig auffällige Attribut am 32-jährigen Songwriter. Er macht fast den Eindruck, als habe ihm ein Professor gesagt, dass er bestanden hat, wo er die letzten beiden Male durchgefallen ist.

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Immerhin lasten die Verantwortung und der Erfolgsdruck von acht Millionen verkauften Alben auf den Schultern dieses Mannes. Keane, die Gitarrenband ohne Gitarren, brauchen auch auf "Perfect Symmetry" nur Klavier, Keyboards und viel Bass. Und für die Aufnahmen zum dritten Album vor allem erst mal einen Ort zum Durchatmen. Tim Rice-Oxley scheint genau diesen in Berlin gefunden zu haben. Er kann nicht aufhören, von der Stadt zu schwärmen, die Keanes Lebensretter zu sein scheint, und ein wichtiger Einfluss auf dem Album.

Vier Mal in Folge ist die Band nun mit dem Nachtzug in die deutsche Hauptstadt gefahren, ungewöhnlich für Menschen, die in vier Jahren acht Millionen CDs verkauften und eigentlich Privatjets nutzen sollten. Rice-Oxley weiß jedoch: "So wird dir Reisen wieder begreiflich. Als Band tourst du, landest auf Flughäfen, das ist wenig aufregend, aber im Zug wird der Weg zu einem unschuldigen Abenteuer mit skurrilen Typen. Wie jenem walisischen Architekten, der dem Fliegen abgeschworen hat, und uns die halbe Nacht unterhielt. Oder das alte Ehepaar, das sich verhielt, als säße es im feinsten Restaurant der Stadt." Rice-Oxley schneidet vorsichtig ein unsichtbares Stück Fleisch und lächelt.

Nach dem düsteren zweiten Album "Under The Iron Sea" wollten Keane sich diesmal eine Frischekur verschreiben. Ursprünglich hatten sie geplant an fünf Orte zu gehen und die Songs einzuspielen. "Sobald wir mit einer Stadt vertraut werden, gehen wir. Doch Berlin war offen, kreativ - und akzeptiert dich. Das tat uns gut." Also gab es nur drei Aufnahmeorte, Paris, London und Berlin, auf letzterem ruhte jedoch das Hauptaugenmerk. Sie entschieden sich für zwei Produzenten und letztlich für gar keinen. "Sowohl mit Jon Brion als auch mit Stuart Price haben wir je drei Tage zusammengearbeitet. In dieser Zeit redeten wir mehr als wir gearbeitet haben. Aber genau das brachte uns vorwärts. Wir wollten uns nicht festlegen, entschieden uns gegen einen Produzenten im üblichen Sinn. Das hat allerdings auch einen Nachteil. Es gibt niemanden, der finale Entscheidungen trifft, kein anderer hat die Verantwortung." Rice-Oxley schaut, als habe er soeben wieder etwas gelernt.

Und lernen mussten er und seine beiden Schulzeit-Freunde so einiges nach dem Durchbruch in Großbritannien. "Wir dachten, wir sind vorbereitet, da wir so lange auf den Erfolg gewartet haben. Dann musste ich feststellen, dass man sich darauf überhaupt nicht vorbereiten kann." Er gibt zu, dass die Karriere sie als Menschen veränderte. "Auch ich habe immer davon gesprochen, wie klein unsere Egos sind und das wir normale Jungs seien. Aber normale Menschen haben ein Ego und reagieren auf Bewunderung und Kritik. Es gibt eine endlose Liste neuer Erfahrungen, die dich verwirren und verleiten. Manchen so, dass er darauf hängen bleibt. Gerade, wenn man jemanden lange kennt, erwartet man, dass er derselbe bleibt, doch wir mussten mit diesen unerwarteten Veränderungen umgehen. Und haben es hingekriegt."

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Hat sich dadurch sein Verständnis von Freundschaft grundlegend geändert? Die Frage geht tief, schnaubt er, schiebt ein Lachen dazwischen und beginnt nachzudenken: "Ich glaube, wir haben uns erstmals als Erwachsene akzeptiert. Wir sind miteinander aufgewachsen, das ist eine Menge emotionales Gepäck. Es gibt dieses Zitat von George Harrison, der sagte 'Paul McCartney war immer 8 Monate älter als ich', man rutscht nicht näher. Es mag kompliziert sein bei uns, dennoch weiß ich immer noch: Wir haben viel gemeinsam, das man würdigen muss und, ach Mann, die Unterschiede umso mehr."

Den Spaß und die Leichtigkeit, die beim neuen Album durchscheinen, kann man jedoch nicht kreieren. Das weiß Rice-Oxley: "Es ging einfach darum, uns weniger Gedanken zu machen, sondern die Idee, die wir haben, auszuprobieren, ohne sich zu überlegen, ob man wie ein Idiot wirkt. Entscheidend war die Herangehensweise. Wir waren in einer anderen Stimmung. Wenn ich heute sage, das war die beste Zeit, die ich je mit der Band hatte, bedeutet das etwas, denn ich kenne beide sehr lange. Da komm ich wieder zu Berlin. England ist konservativ. London, dieser bequeme Luxussessel, fühlt sich klaustrophobisch und müde an. Jeder wartet, dass etwas passiert. Berlin hingegen musste als Stadt so viel durchmachen."

Insofern wohl tatsächlich der ideale Ort für die Arbeit an "Perfect Symmetry". Herausgekommen ist ein Album zum Thema "Was wir sind und was wir sein könnten", sagt Rice-Oxley. Nach Perfektion oder perfekter Symmetrie hätten sie dabei nicht gesucht, das sei als Ironisierung zu verstehen. Und dann fängt er zum dritten Mal von Berlin zu reden an und entschuldigt sich gleich dafür. "Vielleicht", überlegt er, "ist diese Fahrt im Nachtzug eine der raren Möglichkeiten, ohne Störungen miteinander zu reden. Und dann wachst du auf und bist mitten in Berlin." Klingt wie Weihnachten. Oder nach einem Musiker, der jetzt wieder aufwacht und denkt: Jawoll, ich bin bei Keane. ~ Claudia Nitsche (teleschau)


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