Die amerikanische Landkarte steckt voller Überraschungen. Da gibt es ein Manchester in New Hampshire, das recht bekannte Athens in Georgia sowie landesweit nicht weniger als elf verschiedene Frankforts. Und dank Wim Wenders weiß man auch, dass Paris irgendwo in Texas zu suchen ist. Ähnliche geografische Verwirrung stiftete 2006 ein gewisser Zach Condon aus Albuquerque, New Mexico, der unter dem Moniker der libanesischen Hauptstadt Beirut in Erscheinung trat. Das zugehörige Debütalbum "Gulag Orchestar" war eine schwärmerische Traumreise durch eine irgendwie osteuropäisch ersponnene Folklore, die wie selbstverständlich auch in "Prenzlauerberg" und im "Rhineland (Heartland)" Station machte. "Gulag Orchestar" wurde zurecht als kleine Sensation gefeiert. Der mediokre Nachfolger kühlte die Euphorie um das Wunderkind ein wenig herunter. Und wenn nun die Konzept-Doppel-EP "March Of The Zapotek And Realpeople: Holland" erscheint, dann muss man fast befürchten, dass sich der genialische Freak in irgendeiner Balkanfantasie verirrt hat. ~ Jens Szameit (teleschau) aufklappen »
"March Of The Zapotec", Teil eins dieses erratischen Doppelschlags, bewegt sich klanglich auf vertrautem Beirut-Terrain. Allerdings stammen die elegischen Bläser-Arien dieses Mal vom heimischen Kontinent. Angeblich hat Condon eine Beerdigungskapelle aus einer mexikanischen Kleinstadt angeheuert, zu deren Klängen er die lateinamerikanische Legendengestalt "La Llorona" beweint (eine Frau, die ihre Kinder ertränkt hat), in der Liebe schwelgt ("My Wife") und mannhaft in den Krieg zieht ("On A Bayonet").
Teil zwei, "Realpeople: Holland", klingt hingegen in etwa so, als hätte Rufus Wainwright über die Arrangements von Conor Obersts Elektro-Experiment "Digital Ash In A Digital Urn" gesungen. Zu Schlafzimmer-Synthies steuert das große Kind europäische Häfen an ("My Night With The Prostitute From Marseille"), macht in "Venice" und in der frühen Neuzeit ("The Concubine") Halt, um mit "No Dice", einem erstaunlichen Eurodance-Instrumental mit Quietscheenten-Appeal, zu schließen. Was bleibt, ist ein wenig Ratlosigkeit, wiewohl man das außerordentliche Talent des wunderlichen Zach Condon durchaus erkennen kann. Anlass zur Hoffnung besteht somit allemal, dass sich dieser große Geistesreisende und gefühlte Osteuropäer noch einmal zu einer konzisen Leistung aufrafft. Noch ist Polen nicht verloren.