Kid A

Denn im Rückblick ist es faszinierender, sich noch einmal vorzustellen, wie - ja, man muss schon sagen - unbekümmert Radiohead mit dem Erfolgs- und Erwartungsdruck umgingen. Gerade Yorke machte bereits in der Entstehung von "Kid A" immer wieder Bemerkungen, das neue Album werde kein zweites "OK Computer". Zudem betonte der Sänger ein ums andere Mal seine Vorliebe für Avantgarde-Electronica-Acts und Künstler des hippen Warp-Labels. Eigentlich war man also vorgewarnt.

Wie Radiohead zuvor vorhandene Progrock-Einflüsse dann aber auf "Kid A" mit Elektro, Jazz, Beats und komplexer Rhythmik verbanden, war dennoch schlichtweg sensationell. Und Wasser auf die Mühlen jener Kritiker, die Ende der 90er-Jahre bereits den "Tod des Rock" heraufbeschworen hatten. Der jetzt mit dieser "Collector's Edition" sich fast schon aufdrängende musikhistorische, zweite Blick auf das Album relativiert aber einige Gesichtspunkte.

Denn "Kid A" ist aufgrund seiner Spät-90er-Elektronik-Einflüsse schon deutlich ein Produkt seiner Zeit. Außerdem verleugneten Radiohead hinter und zwischen allen Klangexperimenten auch hier niemals ihre Fähigkeit zur emotionalen Weltschmerzhymne: "How To Disappear Completely" und "Motion Picture Soundtrack" zeugen davon. Und Yorke konnte, wenn er denn wollte, auch immer noch herzzereißend singen: das wunderbare "True Love Waits" (hier auf der Bonus-CD enthalten) ist ein schlichter Akustikgitarrensong.

Aber wie schon angedeutet - diese Tatsachen schränken die Radiohead'sche Meisterleistung nicht ein. Egal ob der unfassbare Basslauf und die schrägen Bläser in "The National Anthem", das Instrumental "In Limbo" oder vor allem die monströsen Beats von "Idioteque", die Experimente gelingen der Band in Formvollendung. Und zwar so sehr, dass man nach erneutem Hören feststellen muss: Bis heute bewegen sich Radiohead auf allerhöchstem musikalischen Niveau, so grenzüberschreitend wie hier war aber keines der danach veröffentlichten Alben mehr.