Polarkreis 18

"Ein Album ist ein sozialer Marathon"


Endgültig jenseits vom Hier und Jetzt: das zweite Album der Dresdener Band

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"Ein Album ist ein sozialer Marathon"

Endgültig jenseits vom Hier und Jetzt: das zweite Album der Dresdener Band

20.10.2008 Seine Stimme ist zart und sehr feminin. Felix Räuber, der Sänger der Dresdener Synthie-Indie-Band Polarkreis 18 ist der Extrovertierteste des Sextetts. Und das ist gar nicht so einfach in einer aus dem Rahmen fallenden Band, die sich jenseits Neuerer Deutscher Wellen mit kunstvollem, stets furchtlosem Pop einen Geheimtipp-Status erarbeitet hat. In Zusammenhang mit Polarkreis 18 fiel häufig sogar der Begriff "undeutsch" - ein Kompliment vermutlich. Nach der Hitsingle "Allein Allein" folgt nun mit "The Colour Of Snow" das zweite Album der auch optisch reizvollen Band. Das von "der Reise in Nichts" erzählt, wie Schlagzeuger Christian Grochau und Sänger Felix Räuber im Interview berichten.

Euch ordnet man eher unter dem Begriff Kunst ein als unter Musik. Ist das auch Eure Überzeugung?

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Christian Grochau: Beide Bereiche sind vertreten, auch bei uns gibt es das Handwerk, während Felix mehr der Künstlertyp ist. Seine Bewegungen, der Ausdruckstanz ... Nein, war ein Spaß (beide lachen).

Felix Räuber: "The Colour Of Snow" ist künstlerischer, klingt für viele aber einfacher. Wir haben versucht, den Song einem Gedanken unterzuordnen, also konzeptioneller zu arbeiten. Beim ersten Album haben wir nicht so viel hinterfragt. Wir sind sehr individuelle Persönlichkeiten, haben auch musikalisch keine deckungsgleichen Vorlieben. Genau über jene Spannungen kommt es zu neuen Entwicklungen, die man alleine nicht auf die Beine gestellt hätte.

Das klingt anstrengend.

Räuber: Eine Albumaufnahme ist ein sozialer Marathon für uns. Die emotionale Seite war für mich viel interessanter als die musikalische. Der Entstehungsprozess war spannender als das Produkt.

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Ist das Produkt langweilig?

Räuber: Nein, aber nur ein Spiegel. Man schafft es ohnehin nie, das festzuhalten, was man fühlt. Ein Album ist immer nur ein Auszug dessen, eine Art Tagebuch, das nicht die tatsächlich stattgefundene Emotionalität zeigt, sondern nur einige Dinge davon.

Gibt es dennoch ein Thema, das sich durch das Album zieht?

Räuber: Das Wort Film ist allgegenwärtig in unserer Musik. Wir erzählen mit Worten und Geräuschen von der Reise ins Nichts. Keiner weiß, wo er hinfährt. Durch das Zuordnen von Klängen erhält jeder Text eigene Bilder, wird Film, den wir versucht haben, noch viel schärfer zu stellen als beim Debüt. "The Colour Of Snow" hat nichts mit Schnee zu tun, ist nur ein Sinnbild. Weiß assoziiert man mit Kälte. Weiß wäre, wenn man es als Farbe betitelt, was es nicht ist, die reinste, klare und direkteste Farbe.

Euer Videodreh zu "Allein Allein" fand in der Weite Norwegens statt. Habt ihr Euch da selbst gefunden oder war es einfach nur bitterkalt?

Räuber: Wir übernachteten in einem sehr kleinen Ort, in dem mir die Macht der Natur wieder bewusst wurde. Allerdings, wenn ich in diesem Dorf leben müsste, würde mich das zu melancholisch machen. Es war dort sehr einsam.

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Wer sind die Menschen, die bei der Single, die auch im Abspann des Kinofilms "Krabat" läuft, mitsingen?

Räuber: Vergangenen Winter hatten wir zehnjähriges Bandjubiläum und gaben in Dresden, unserer Heimatstadt, ein großes Konzert. Den Refrain singen die Zuschauer. Ein schönes Paradoxon, dass tausend Menschen "Allein Allein" singen.

Eure Beziehung zu Dresden ist also eine innige?

Räuber: Die Zurückgezogenheit der Stadt ist indirekt wichtig. Je weniger die Reaktionen der Außenwelt, negative wie auch positive, Einfluss haben, desto besser. Rein musikalisch stehen aber alle Kanäle offen, ohne nur einen Schritt zu gehen.

Grochau: Eine Szene würde uns eher behindern.

Ihr seid losgelöst von Genres, von Szenen. Man sagt oft, Ihr seid so "undeutsch". Ist das ein Kompliment?

Räuber: Was macht das Deutsche aus? Wir sind mittlerweile, das empfinde ich auch so, losgelöst von jeglicher musikalischer Mentalität, treten aus der eigenen Kultur heraus, aber auch in keine andere hinein. Auch wenn wir mit dem Nordischen assoziiert wurden, lässt sich Polarkreis 18 nicht mehr mit Breitengraden vergleichen. Wir haben etwas Eigenes geschaffen.

Worüber definierst Du das?

Räuber: Über das Arbeiten mit klassischen Elementen, manches klingt wie Auszüge aus einer Symphonie. Wir beziehen uns nicht auf zeitgemäße deutsche Acts, eher auf klassische Musik. Die haben meine Eltern früher in erster Linie gehört. Im Grundschulalter fing ich dann an, mich mit dem Radio und Pop zu beschäftigen. Einmal in der Woche habe ich die Wohnzimmertür abgeschlossen und zu "Peter und der Wolf" getanzt.

Grochau: Was Du jetzt auf der Bühne machst ...

Felix: Es hat bestimmt auf einzelne Familienmitglieder seltsam gewirkt. Aber ich kann mich genau daran erinnern. Ich war sehr jung, Kindergartenalter. Die Lust, mich zu bewegen führte sich dann im Schullandheim fort und ist immer noch da.

Wie viel Platz ist auf der Bühne für Individualität?

Räuber: Jeder baut etwas ein, das den jeweiligen Charakter zeigt, womit er sich identifiziert. Bei mir ist es Weiß und Rot, ich mag entschiedene Farben.

Grochau: Ich trage eine auffällige Brille. Zwar ist die Bühne ein Ort der Übertreibung, der Überzeichnung. Allerdings passt es dann auch, wenn Uwe Pasora, unser Bassist, ein geerdeter bodenständiger Typ, mit Hosenträgern und Unterhemd auftritt.

Räuber: Ludwig hingegen trägt eine weiße Kapuze, ist der Mensch, der nie anwesend ist, wie man auch heute sieht (Ludwig Bauer sitzt abseits mit Laptop und Kopfhörern auf einem Sofa, tüftelt an Sounds, Anm. d. Red).

Gab es eine Notwendigkeit zur Individualisierung nach einer intensiven Bandzeit?

Räuber: Es ist ein Grundbedürfnis des Menschen, sich nicht komplett eingliedern zu lassen, bei Künstlern ist das noch viel krasser ausgeprägt.

Zwei von Euch haben noch gearbeitet, als es mit Polarkreis 18 losging. Christian, war das eine schwierige Entscheidung?

Grochau: Es betraf Uwe, unseren Bassisten, und mich. Die anderen widmeten sich auch schon, bevor es "ernst" wurde ausschließlich der Musik. Es war aber für mich immer klar, dass ich den Weg gehen werde, wenn es möglich ist.

Felix, was hat Dich bei der Stange gehalten, warum bist Du in eine Branche eingestiegen, in der alle jammern, dass sich kein Geld mehr verdienen lässt?

Räuber: Weil man seine Musik verbreiten will, und Aufmerksamkeit das Bedürfnis des Künstlers ist. Das sind Grundtriebe, denen man intuitiv folgt. Man weiß anfangs gar nicht, was das ist, was man will, man weiß nur, dass man es will. Nach und nach kommt man drauf, warum man das tut. Je mehr ich das begreife, desto amüsanter ist es, genau das zu leben. ~ Claudia Nitsche (teleschau)


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