Juli

"Wir sind wie Joschka Fischer"


Juli wollen mit ihrem dritten Album "In Love" wieder von vorn anfangen

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"Wir sind wie Joschka Fischer"

Juli wollen mit ihrem dritten Album "In Love" wieder von vorn anfangen

10.09.2010 Fast könnte man denken, die "Perfekte Welle" habe Juli grußlos zurück an den Strand geworfen. Nach dem Erfolg eben jener ersten Single, zwei erfolgreichen Alben und ausverkauften Touren sah und vor allem hörte man nicht viel von der Band aus Gießen, die mittlerweile zu großen Teilen nach Berlin übersiedelte. Alles im grünen Bereich, beteuern Sängerin Eva Briegel und Gitarrist Jonas Pfetzing im Interview. Die Pause sei nötig gewesen, um sich und ihren deutschen Alternative-Pop zu Teilen neu erfinden. Ob sie mit ihrem drittes Album "In Love" (VÖ: 17.09.) an frühere Erfolge anknüpfen könne, scheint dabei eher zweitrangig. Fragen nach Erfolgsdruck weist Eva Briegel, die wohl entspannteste junge Mutter der Hauptstadt, auf jeden Fall milde lächelnd zurück.

Ihr habt Euch hörbar Mühe gegeben mit Eurem neuen Album. War es eine Kopfgeburt?

Juli - N

Eva Briegel: Gut gemeint ist ja das Gegenteil von gut gemacht. Deshalb haben wir versucht, uns nicht zu viele Gedanken zu machen. Komplex klingt das Album aufgrund der Arbeitsweise, da mehr als zuvor jeder für sich komponierte. Unsere Maßgabe war, etwas aufzunehmen, was neu ist, etwas, das wir noch nicht so beherrschen. Der Hintergrund: Wir wollten uns nicht langweilen.

Das ergab sicher Diskussionen, um auf einen Nenner zu kommen.

Jonas Pfetzing: Das stimmt, so gesehen war es am Anfang eine Kopfgeburt. Wir haben klar überlegt, was wir vermeiden wollen. Aber nur im Kopf ließ sich, wie wir feststellen mussten, kein Album aufnehmen. Deswegen überlege ich noch, ob ich es als Kopfgeburt bezeichnen würde.

Die Formulierung hat ja auch einen negativen Beigeschmack, klingt als hätte man ohne Herz gearbeitet.

Juli - J

Pfetzing: Wir haben den Kopf tatsächlich mehr benutzt als in der Vergangenheit. Ganz am Anfang macht man ohnehin alles spontan und arbeitet aus dem Herzen, weil man unbedarft ist. Je länger man sich mit sich selbst beschäftigt und damit konfrontiert wird, was andere denken, wer man ist, umso mehr passiert in einem.

Was war denn wirklich anders bei der Produktion von "In Love"?

Briegel: Jeder reichte fünf Skizzen ein, auch der Bassist und der Drummer. Das war bei den ersten beiden Alben noch nicht so. Wir haben im Netz an den Songs gearbeitet - und hatten Zeit für viele Diskussionen über jedes Instrument. Inzwischen wissen wir alle, was wir wollen, deswegen diskutiert man länger.

Pfetzing: Beim zweiten Album 2006 vermieden wir Konflikte, weil nicht die Zeit da war und uns die Energie dazu fehlte. Diesmal haben wir unsere unterschiedlichen musikalischen Meinungen ausdiskutiert. Das war wichtig, denn es nimmt einem das Gefühl der Unzufriedenheit: Auch wenn man sich nicht durchgesetzt hat, weiß man diesmal warum.

Das heißt, Ihr habt Euch ernst genommen als Band.

Pfetzing: Wir nehmen uns nicht nur als Band, sondern auch als Einzelperson sehr ernst. Das steht uns immer ein wenig im Weg.

Juli - D

Briegel: Ich möchte ernst genommen werden mit meiner Musik. Wir sind eine sehr reflektierte Band. Den Eindruck machen wir, und der ist auch richtig. Wir sind nicht so unkompliziert, reden viel, denken viel nach. Juli lebt von unserem Widerspruch. Vom Wesenstyp her sind wir eher melancholisch, suchen aber immer den Moment der Unbeschwertheit. Trotz der Schwierigkeiten des Lebens legen wir darauf Wert, das ergibt eine bittere Süße.

Meint Ihr damit, dass Ihr kritischer seid als Ihr wirkt?

Briegel: Das kann gut sein. Aber die meisten Bands sind mehr als ihre Single. Popmusik ist wie Ballett. Es sieht einfach aus. Darin liegt die Qualität. Die Welt in drei Minuten zu erklären, benötigt einen Punkt, den ich gut und knapp beschreibe. Ob man damit Zeitgeist ist oder nicht, das merkt man erst viel später.

Pfetzing: Es ist schwer zu erkennen, wie man als Band wahrgenommen wird, und es ist auch müßig. Entscheidend ist, bei sich selbst zu landen und zu wissen, ob und warum man das will. Diesen Prozess sind wir in den letzten vier Jahren gegangen. Jetzt ist es nur noch halb so interessant, was die Welt denkt. Das gehört wohl zum Erwachsenwerden. Wobei ich das Wort schrecklich finde.

Was waren die Gründe dafür, dass Ihr Euch Zeit für Euer privates Leben genommen habt?

Briegel: Das soll nicht arrogant klingen, aber wir sind einfach nicht mehr so geflasht von der ganzen Sache, vom Erfolg an sich. Beim ersten und zweiten Album erfüllte sich unser Jugendtraum. Wir reisten herum, lernten Leute kennen, feierten After-Show-Partys. Mittlerweile hat sich das relativiert. Wir kennen viele Leute - aber ich überlege schon mal, ob ich noch zur Aftershow-Party gehe - oder nach Hause zu meiner Familie.

Vor allem jetzt, da Du seit ein paar Monaten ein Baby hast ...

Briegel: Ach, Yoko ist sehr relaxt. Mein Freund (Andy Penn, Gitarrist bei Mia, Anm. d. Red) und ich können uns die Betreuung gut teilen, die Schichten geradezu modulartig zusammensetzen. Unser Kind ist ein Sonnenschein, freundlich, lacht immer, schläft oft. Daher ist sie viel dabei, wird auch mit auf Tour gehen. Wir versuchen, sie nicht auszuklammern. Und meine Band hat sie jetzt schon im Sack (lacht).

Woraus bezieht Ihr heute Eure Motivation, Musik zu machen?

Briegel: Was wir uns erträumt haben, war ja jetzt schon. Wir wollen keinen Gipfel mehr erklimmen. Also fragten wir uns, warum wir das machen. Die Antwort ist: Wir wollen Musik machen. Acht Stunden im Studio stehen und aufnehmen, rausgehen und spielen, das reicht. Es geht uns nicht mehr um das Chi-Chi drum herum.

Es geht also auch okay, wenn die Hallen kleiner sind.

Briegel: Klar. Ich finde es total boulevardesk zu sagen, wenn man mal oben war, dann darf man nie wieder vor weniger Leuten auftreten. Wenn ich von Musikern höre, bei denen es heißt, er habe mal 16 Millionen Platten verkauft und muss nun vor 1.000 Leuten spielen, dann denke ich: Geht's noch?

Pfetzing: Man hört unserem Album an, dass wir nicht versuchen, einen Status zu verwalten und marktwirtschaftlich clever zu agieren. Wir haben etwas gewagt, und deshalb fühlt sich das Album für mich wie ein Debüt an. Was davor war, weiß ich, ich habe auch noch alte Backstagepässe und Bilder davon, aber so richtig interessiert mich das gar nicht mehr. Ich bin ja ein anderer Mensch, als ich damals war. Die Medien mögen uns daran messen, aber bei uns geht das gerade von vorne los. Wir haben noch nichts erreicht. Wenn wir ein viertes Album machen, hoffe ich, das auch wieder so zu erleben.

Briegel: Wir haben beschlossen, lieber etwas zu machen, was wir noch nicht gemacht haben und dann auch vor weniger Leuten zu spielen. Ich brauch keine Millionen verkaufter Einheiten für mein Ego.

Pfetzing: Wir sind keine Berufspolitiker, höchstens einer wie Joschka Fischer, der zufällig unter anderem Politiker war. Der hat da zwar alles erreicht, was ging, aber das ist nur ein Aspekt von ihm und seiner Arbeit. Ich finde es wichtig, dass man sich selbst überrascht.

Briegel: Ein Letztes zu dem Thema, aber mir ist das wichtig: Viele denken, wenn man einmal berühmt war, dann kann man es nicht aushalten, das nicht mehr zu sein - und stellt sich den Rest seines Lebens mit dem letzten Scheiß auf die Bühne, um das, was war, festzuhalten.

Pfetzing: Aber dafür gibt es ja Beispiele.

Briegel: Ja, okay, es gibt solche Menschen. Man kann sich natürlich daran gewöhnen, aber man muss sich ohnehin abschotten gegen Kritik und Lob. Beides ist mit Vorsicht zu genießen. Und besonders Lob ist oft mit einer Intention verbunden und sehr selten selbstlos. Man entscheidet, wie wichtig man das nimmt.

Juli auf Deutschland-Tournee

18.11., Olsberg, Konzerthalle

19.11., Köln, E-Werk

22.11., München, Muffathalle

24.11., Dortmund, FZW

25.11., Stuttgart, LKA Longhorn

27.11., Leipzig, Werk II

29.11., Neu-Isenburg, Hugenottenhalle

30.11., Hamburg, Große Freiheit 36

01.12., Berlin, Astra ~ Claudia Nitsche (teleschau)


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