Arcade Fire

Das Paradies, das keines ist


Arcade Fire singen über die Vorstadt

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Das Paradies, das keines ist

Arcade Fire singen über die Vorstadt

04.08.2010 Mit dem Alter fängt man an, sich für Countrymusik zu interessieren. Und so hörte Arcade-Fire-Mann Tim Kingsbury während der Aufnahmen zu "The Suburbs" vornehmlich George Jones und Tammy Wynette. Dazu, so erzählt Kingsbury, den man zumindest bei Konzerten als den ruhigen Pol von Arcade Fire beschreiben kann, kam noch jede Menge Science-Fiction. Was auf den ersten Blick nach einer kruden Mischung klingt, lässt sich mit etwas Nachdenken tatsächlich als so eine Art Erklärung für den Sound des dritten Albums der kanadischen Rockband anwenden. Traditionsbewusst, zumindest, was die Themensetzung angeht, aber Fantastereien eben nicht abgeneigt. Traurig - einer der berühmtesten Countrysongs aller Zeiten heißt immerhin "I'm So Lonesome I Could Cry" -, aber auch schillernd.

Man kann sie nicht übersehen, die "Zu verkaufen"-Schilder vor den Einfamilienhäusern, wenn man durch die Schlafstädte Amerikas fährt. Das Konzept Vorstadt, das das Leben in weiten Teilen Amerikas prägte wie in wohl keinem anderen Land der Welt und als Blaupause für zahllose Bücher, Filme, Fernsehserien fungierte, ist spätestens seit Ausbruch der Wirtschaftskrise angezählt. Es fällt in sich zusammen - und wer die Leichtbauweise amerikanischer Pressspan-Bungalows kennt, weiß, dass das bald durchaus wörtlich zu verstehen sein könnte. "Wir haben darüber viel diskutiert, als diese Krise losging", erzählt Tim Kingsbury, Gitarrist und Bassist von Arcade Fire. "Den Ausschlag, 'The Suburbs' so zu gestalten, wie es nun ist, gab aber ein Besuch von Win und Régine (Win Butler und Régine Chassagne, quasi die Arcade-Fire-Doppelspitze, d. Red.) in Wins Heimatstadt Houston."

Arcade Fire - G

Das Wort Konzeptalbum möchte Kingsbury nicht in den Mund nehmen. Eher sei "The Suburbs" eine Platte, die thematisch einen roten Faden besitze, der sich quasi von selbst gewebt habe und der unheimlich reizvoll sei. "Ich denke, die Hälfte der Songs beschäftigt sich direkt mit diesem Komplex. Aber die anderen Stücke haben auch etwas damit zu tun, nur auf einer anderen Ebene. Da spielt dann auch noch Science-Fiction rein, herrscht so eine ... Tagtraum-Stimmung", erklärt er.

"Wenn man in einer Vorstadt aufwächst, erlebt man eine ganz eigene Kultur, die wie ein Wattebausch erscheint. Die Menschen versuchen, sich ein Stück Paradies zu erschaffen. Es wird Geborgenheit vermittelt, ist aber gleichzeitig sehr isolierend. Die Bewohner der Vorstädte sind tagsüber in der Arbeit - und ansonsten verstecken sie sich. Auch wenn es vordergründig ein nachbarschaftliches Leben gibt, gibt es keine Gemeinschaft." Mit Win Butlers Textzeilen kann sich Kingsbury dementsprechend gut identifizieren: "Ich wuchs in einer Kleinstadt auf, die sogar einen Uni-Campus besaß. Als ich anfing, in Bands zu spielen, ging das schon. Es gab Cafés, Kneipen, ein Einkaufszentrum. Aber alle pendelten nach Toronto, und bis ich 16, 17 war, spielte sich mein Leben tatsächlich in ein paar Straßenzügen ab."

Die Vorstadt, so Kingsbury, schaffe Raum für viele Geschichten, schöne wie schreckliche. "Ich denke, es geht unter diesem Themenschirm auch viel um Kleinteiligeres. Um Beziehungen innerhalb der Familie, aber auch mit Freunden. Denn die verändern sich. "Natürlich sehen Freundschaften dieser Tage anders aus als zu den Zeiten, in denen ich 17 oder 18 war." Das bemerke man auch innerhalb der Band. Arcade Fire sind dieser Tage ein erwachsenes Musikerkollektiv, dessen Mitglieder in festen Beziehungen oder Ehen (Butler und Chassagne sind seit 2003 verheiratet) leben, teilweise Kinder haben, was man jedoch nicht unbedingt in die Texte lassen wollte. "Ich denke nicht, dass 'The Suburbs' viel darüber verrät, wo wir uns momentan befinden. Es ist eine Platte, die zurückschaut, und eine, die nach nebenan blickt. Aber nicht unbedingt in unsere eigene Gegenwart."

Und der Umgang mit den Erwartungen? Immerhin lieferten Arcade Fire mit "Funeral" (2004) und "Neon Bible" (2007) zwei Alben ab, die die jeweiligen Jahresbestenlisten prägten und die die Kanadier innerhalb kurzer Zeit zu einer der wichtigsten Rockbands der Gegenwart werden ließen. "Natürlich war ein gewisser Druck da. Aber man darf sich nicht ablenken lassen. Wir machen nicht Musik, um berühmt zu sein oder um irgendwem zu gefallen", sagt Kingsbury. Und: Die Band ging ausgeruht ins Studio. Es gab - zum ersten Mal - so etwas wie eine Pause, nach dem Ende der "Neon Bible"-Tour verbrachte man das nur angebrochene Jahr 2008 vornehmlich außerhalb der Band.

Arcade Fire - B

Mit dem Endergebnis des Arbeitsprozesses ist Kingsbury dementsprechend zufrieden. Er wählt die Worte vorsichtig, wenn er über seine Empfindungen redet: "Bei den letzten beiden Alben war mein Gefühl immer etwas ... Woah, wir sind jetzt also fertig. Es herrschte gegen Ende der Aufnahmen immer ein ziemlicher Stress. Das war diesmal gar nicht so. Ich denke, ich bin glücklich." Ein weiterer Unterschied zu den Vorgängern dürfte sich übrigens bei den Konzerten offenbaren: Einige Stücke, so sagt er, ließen sich live nicht sonderlich gut umsetzen, wegen der Elektronik. "Wir müssen noch einiges umarrangieren. Ich bin selber gespannt darauf." Manche Fans werden sich dabei gedulden müssen: "Wir werden unsere Konzertreisen anders planen. In einer niedrigeren Geschwindigkeit", erzählt Kingsbury. Die Familien - schon klar.

Arcade Fire auf Deutschlandtournee

31.08., Berlin, Tempodrom

28.11., München, Zenith

29.11., Düsseldorf, Philipshalle ~ Jochen Overbeck (teleschau)


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