Lambchop

Ein ernsthafter Träumer


Kurt Wagner erlebt mit seinem Kollektiv Lambchop den nächsten Frühling

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Ein ernsthafter Träumer

Kurt Wagner erlebt mit seinem Kollektiv Lambchop den nächsten Frühling

10.10.2008 Nein, von der geschäftlichen Seite betrachtet habe das Projekt Lambchop nie wirklich viel Sinn gemacht, räumt Kurt Wagner ein. Doch kommt es einem wie ihm darauf natürlich auch nicht an. Im denkbar unökonomischen Umfeld eines bis zu 18-köpfigen Ensembles hat sich der Songwriter und Frontmann wider Willen zu einer der erfreulichsten Konstanten der gegenwärtigen Americana entwickelt. Dabei waren Lambchop immer eine skurrile Anomalie, die, aus Nashville stammend, grummelnden Zeitlupen-Country mit Funk, Soul, Jazz und ironischer Süffisanz kreuzte. Zählt man den nicht ganz geglückten Doppel-Release "Aw C'mon" / "No, You C'mon" von 2004 getrennt, ist "OH (Ohio)" das nunmehr zehnte Album der Band und ihr schwächstes gewiss nicht.

"Wie eine Brise Frischluft" sei das Album für ihn, lacht Wagner. Seit dem bitteren "Damaged" von 2006, in dem er die Erfahrung einer schweren Erkrankung verarbeitet hatte, seien eben zwei Jahre vergangen und die Dinge hätten sich zum Besseren gewandelt: "Dieses Mal war ich halt nicht mit so schwierigen Angelegenheiten konfrontiert." Sagt er verniedlichend und lacht abermals schallend.

Lambchop - M

Ganz offensichtlich hat Wagner wieder zu sich gefunden und strahlt eine freundliche Gelassenheit aus, die zuletzt auch auf seine Arbeitsprozesse übergriff. Erstmals beschäftigten Lambchop bei den Albumaufnahmen zwei Produzenten simultan, denen die Federführung bei der stilistischen Entwicklung der Platte weitgehend überlassen wurde. "Es war eine sehr schöne Erfahrung, ein wenig in den Hintergrund zu treten", erläutert Wagner seine Motive - er, der sich nie recht damit abfinden wollte, als Mastermind der Band zu gelten, als der, der alle Fäden in der Hand hält. Ein wenig von der Kontrolle und der alleinigen Verantwortung für das Unternehmen Lambchop abzugeben, erschien ihm da nur folgerecht: "Wir versuchen ja immer uns weiterzuentwickeln, zu wachsen, und das hatten wir noch nicht ausprobiert."

"Interessant", lacht Wagner, sei die Arbeit mit dem Produzentendoppel gewesen - mit Mark Nevers und erstmals Roger Moutenout. "Ich hätte nicht gedacht, dass Produzenten so wetteifernd sein können. Deshalb haben wir versucht, solche Situationen erst gar nicht entstehen zu lassen. Sie haben unabhängig voneinander gearbeitet und nicht zu hören bekommen, was der jeweils andere gerade macht. Die beiden haben teilweise an den selben Songs gearbeitet und nicht gewusst, wie der andere die Sache angeht. Das ist durchaus ein Prinzip, das ich weiterempfehlen kann."

Wagner befand sich zuletzt in der komfortablen Situation, das aus seiner Sicht gelungenere Resultat auswählen zu können. Beleidigt war der jeweils Unterlegene zum Glück nie. Und Wagner bestaunte, wohin das führte. Das wohlige Easy-Listening-Flair der Songs, die liebreizenden Bacharach-Trompeten in "Of Raymond" - all das sei konzeptuell gar nicht aus seinem Mist gewachsen, sondern aus dem seiner Produzenten: "Das ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie man mich erfolgreich außen vor lässt", scherzt er. "Man nimmt sich selbst ganz anders wahr, wenn man sieht, wie andere Leute einen interpretieren." Sich überraschen zu lassen, gehörte somit zum Konzept: "Das ist die Idee, die einer solchen Entscheidung zugrunde liegt: Man vertraut einigen Leuten und steht dann bedingungslos zu dem, das sie tun."

Warum ein gebürtiger Nashville-Bewohner ausgerechnet ein Album nach dem Bundesstaat Ohio benennt, kann er rückblickend dagegen nicht genauer erläutern. Viel Zeit habe er dort jedenfalls nicht verbracht. Auch der "National Talk Like A Pirate Day", den es tatsächlich gibt, ist augenscheinlich nicht allzu bedeutungsschwanger aufgeladen. Auf den Songtitel angesprochen, amüsiert sich Wagner indes immer noch prächtig. Der Tag sei wohl erfunden worden, weil sich die Menschen in ihren Büros anfingen, zu langweilen, mutmaßt er und ulkt, dass wahrscheinlich "Fluch der Karibik"-Freibeuter Keith Richards den Meisten Interpreten als Vorlage diene.

Lambchop - A

"Sharing A Gibson With Martin Luther King" reflektiert hingegen Wagners durchaus überraschende Erkenntnis, dass Nashville, die vermeintlich reaktionäre Hochburg weißer Country-Kultur, Ausgangspunkt der US-Bürgerrechtsbewegung der 50er- und 60er-Jahre war. Heute zumal habe sich das Bild der Stadt vollständig zur Weltoffenheit gewandelt. Neben klassischen Country-Acts lebt und arbeitet eine ganze Reihe unterschiedlichster Bands in der Musikmetropole in Tennessee - man denke an Jack White von den White Stripes oder an die Kings Of Leon. Die eigene Positionierung in diesem spannenden, heute sehr heterogenen Umfeld macht das indes nicht leichter. "Ich habe mich hier immer ein bisschen wie ein Außenseiter gefühlt", bekennt der künstlerisch eigensinnige Wagner. "Das ist heute nicht wirklich anders. Denn, während der Großteil der Künstler, die aktuell in Nashville leben, von außen hergezogen ist, bin ich ja hier aufgewachsen."

Den personellen Substanzverlust der vergangenen Jahre - Lambchop sind auf ein Grundgerüst von "nur" noch sieben festen Mitgliedern geschrumpft - bewertet Wagner als natürlichen Prozess. Schließlich hätten viele seiner Mitstreiter berufliche und familiäre Verpflichtungen. Überdies habe das den Sound der Band sogar gestärkt und klarer konturiert. Ein erfreulicher Nebeneffekt sei, dass man auf Tour nun in einen Bus passe. Die wird Lambchop in Kürze auch wieder in deutsche Städte führen, wo die Fanbasis erstaunlicherweise solider ist als zu Hause. Irgendwann, sagt Wagner, müsse man sich entscheiden, auf welcher Atlantikseite man seine Prioritäten setzt.

Auch nach zehn Alben gäbe es noch jede Menge Songs zu schreiben, blickt er sodann zuversichtlich in die Zukunft. Und wer würde das anzweifeln wollen? Allerdings hält ihn die Musik seit Jahren davon ab, ein eigenes Filmprojekt auf die Beine zu stellen. Eine Komödie im Stil der Coen-Brüder oder Woody Allens schwebt Wagner vor, der sich leider nicht überreden lassen will, selbst mitzuspielen. Ist das nun ein ernsthaftes Projekt oder nur ein vager Traum? "Well", lacht Wagner, "I'm serious in dreaming." ~ Jens Szameit (teleschau)


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