Gentleman

"Ich könnte heulen, wenn ich Nachrichten gucke"


Gentleman träumt von friedvoller "Diversity" und einer heilen Welt für seine Kinder

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"Ich könnte heulen, wenn ich Nachrichten gucke"

Gentleman träumt von friedvoller "Diversity" und einer heilen Welt für seine Kinder

13.04.2010 Tilmann Otto ist gelassen. Bedächtig gießt er sich grünen Tee ein und blinzelt Richtung Fenster, durch das die Frühlingssonne in das bemüht unsterile Hotelzimmer im Bayerischen Hof in München fällt. Er ist ein Profi. Unter dem Künstlernamen Gentleman hat der Osnabrücker vom VIVA-"Comet" über das Nummer-eins-Album ("Confidence") bis hin zum "Echo" in Deutschland alles abgeräumt. Und sich sogar als kahl geschorener Weißer den Respekt der engstirnigen Rastafari auf Jamaika erkämpft. Nach zehn Jahren beim Fanta-Vier-Label Four Music wagt er nun mit seinem sechsten Album "Diversity" den Absprung ins Major-Lager. Auch das kein Grund zur Beunruhigung: "Die Zeit ist reif für dieses Album", versichert Gentleman.

Wenn ihm die Sonne ins Gesicht fällt, sieht man es: Gentleman ist nicht mehr der Jüngste. Elf Jahre im Business zehren, ständig unterwegs, irgendwo zwischen den beiden Heimathäfen Köln und Jamaika. Kein Wunder, denn wer den 35-Jährigen einmal live erlebt hat, weiß, er gibt alles. Auf der Bühne wie auf Platte. Und man hört "Diversity" den Hunger an. Das war nicht immer so: "Es gab auch ein Album, das entstanden ist, weil ich dachte, ich muss ein Album machen", gibt Gentleman zu, ohne Namen zu nennen.

Gentleman - G

Leicht fällt das nicht, Tag ein, Tag aus im Studio an Hits zu feilen, zwischendurch mehrmonatige Tourneen zu spielen, auf zwei Kontinenten zu leben und dabei noch Vater zweier Kinder und Ehemann zu sein. "Wenn ich von einem Konzert vor 40.000 Leuten komme und anschließend zum Elternabend gehe, wo gerade die Notwendigkeit der Kaffeekasse diskutiert wird, ist das schon ein bisschen surreal", räumt er schmunzelnd ein. Doch schwieriger ist es, am Ball zu bleiben, nicht den Kontakt zu seinem Sohn zu verlieren: "Ich lege Wert darauf, dass die Zeit, die wir verbringen, intensiv ist. Ich will wissen, wer seine Freunde sind, was er in der Schule gerade durchnimmt, dass er seinen Freischwimmer gemacht hat."

Und gute Erziehung ist 2010 schwieriger als früher, findet Gentleman, dessen Vater evangelisch-lutherischer Pastor ist: "Die Herausforderungen wachsen: Meine Eltern gaben mir mit, dass es wichtiger ist, ein Baumhaus zu bauen, als vor dem Fernseher zu sitzen - aber damals gab es nur drei Programme. Ich muss heute meinem Sohn erklären, dass das Internet nicht alles ist, obwohl man dort alles finden kann."

Überhaupt steht der Sänger dem Fortschritt kritisch gegenüber. Das kommt nicht von ungefähr, halten die Rastafari doch abgesehen von ihrer Homophobie, von der sich Gentleman politisch korrekt stets distanziert, an alttestamentarischen Werten fest. Religiosität, Solidarität, Beständigkeit - das sind Prinzipien, die in den Industrienationen zunehmend unter die Räder des D-Zugs der Entwicklung kommen. Gentleman sieht sich zwar nicht als Botschafter, sehr wohl aber als "Künstler mit Verantwortung", wie er sagt. "Musik spielt eine große Rolle im Zeitgeist. Nie mit erhobenem Zeigefinger, aber immer auch mit einem Fragezeichen", erklärt er. Trotzdem sieht Gentleman Musik in erster Linie als Entertainment, "denn du kannst den besten Text der Welt haben, ohne die richtige Melodie hört dir keiner zu".

In dieser Hinsicht funktioniert das Produkt Gentleman einwandfrei: Fleißig prangert er, auch auf "Diversity", politische und soziale Missstände an, jedoch ohne konkrete Verbesserungsvorschläge zu nennen. "Ich bin mehr politisch betroffen als politisch interessiert", sagt er von sich. Diese kritische Haltung ohne aktiven Drang zur Veränderung ist typisch für Reggae. Auch sonst gibt sich Tilmann Otto diplomatisch - aalglatt, könnte man unterstellen. Für ihn hat alles eine positive und eine negative Seite, auf keine der beiden stellt er sich. "Die Gemeinsamkeiten ausloten, nicht die Differenzen", das ist sein Motto. "Denn die menschlichen Ängste, Freuden und Hoffnungen sind überall gleich."

Gentleman - B

Da scheint der Profi durch, der zwar nie für Friede-Freude-Eierkuchen-Pop stand, aber auch niemals aneckte. Vielleicht ist genau das der Schlüssel zu seinem internationalen Erfolg: "Ich möchte keine rosarote Brille tragen, aber trotzdem bei allem Schlechten, was passiert, positiv bleiben" - und das gelingt Gentleman. "Diversity" strotzt geradezu vor Energie und Menschlichkeit. "Was meine Musik ausmacht, ist, den Leuten zu zeigen, dass sie mit ihren Gedanken nicht alleine sind", fasst er zusammen. Identifikation auf emotionaler Ebene. Während in der Popwelt mittlerweile Zielgruppenmaximierung und Marktforschungsergebnisse den wortwörtlichen Ton angeben, bleibt Gentleman fühlbar. Und das darf man ihm hoch anrechnen.

Gentleman auf Deutschland-Tournee

26.04., Hamburg, Stadion SC Sternschanze

28.04., Hamburg, Docks

02.05., Erfurt, Stadtgarten

05.05., Saarbrücken, Garage

Gentleman - K

06.05., Köln, Palladium

07.05., Bremen, Pier 2

22.05., Bielefeld, Ringlokschuppen

28.05., Kiel, Halle 400

Gentleman - G

29.05., Berlin, C-Halle

30.05., München, Zenith

14.10., Bochum, Ruhrcongress

15.10., Dresden, Alter Schlachthof ~ Gregor Jossé (teleschau)


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