Man darf ruhig zwei Mal hinschauen. Diese junge Frau im Trenchcoat, mit braunen Haaren und dunklem Lidschatten auf dem Cover ist tatsächlich Annett Louisan. Schon rein optisch stellt die Sängerin mit ihrem vierten Album "Teilzeithippie" einiges klar. Sie ist nicht mehr das blonde Fräuleinwunder der deutschen Popmusik. Und ihr früheres Lolita-Image ist mit inzwischen 31 Jahren auch nicht mehr wirklich glaubwürdig und zugkräftig. Gut, dass ihr dieser neue 60er-Jahre-Retro-Chic auch musikalisch bestens steht. ~ Stefan Weber (teleschau) aufklappen »
Natürlich hat Annett Louisan schon früher mit dem leichtfertigen und leichtfüßigen Rückgriff auf ästhetische Formen der Vergangenheit gepunktet. Unter all den neuen deutschen weiblichen Popwundern fiel ihr die Rolle des mal leicht verruchten, dann wieder unschuldigen Chanson-Mädchens zu. Auf "Teilzeithippie" bricht sie nun bis zu einem gewissen Grad mit dieser Rolle, macht sich durchaus selbstbewusst in Richtung Beat, ja sogar Soul auf.
Anfangs plagt Louisan laut Songtitel noch einmal "Das schlechte Gewissen". Gut, eigentlich ist eher das Gegenteil der Fall. Denn die Sängerin schlüpft hier nicht nur musikalisch noch einmal in die Chanson-Pop-Rolle ihres größten Hits "Das Spiel". Sondern plädiert für zwischenmenschliche Amnestie und Amnesie, die gemeinsam verbrachte Nacht war schließlich für beide schön. Glücklicherweise gewinnt "Teilzeithippie" danach aber merklich an neuem Schwung, ist stets amüsant, wirkt manchmal sogar fast ein wenig altklug. Das fordernde "Sexy Loverboy" kleidet Louisan in ein schickes Beat-Gewand, das herrlich jeglichen Besserwissern trotzende "Ich bin dagegen" kommt als eleganter Boogie daher.
In Songs wie "Die Siezgelegenheit" schmückt sich Louisan zwar mit etwas platter und alberner Alltagspoesie, das trübt das Gesamtbild aber nicht allzu sehr. Die neuen, für sie maßgeschneiderten Kleider stehen der Kaiserin des Chanson-Pops gut.