Es ist womöglich nicht die originellste aller Lehren. Aber wenn es eine Faustformel gibt, die neue Bands von Wert erkennbar macht, dann bemisst sie sich an der ratlosen Verwirrung ihrer Hörer. TV On The Radio tragen eine gewisse Unstimmigkeit bereits im Namen und hinterließen mit ihrem rauschhaft oszillierenden Noir-Rock zuletzt vor allem Staunen. Insbesondere durchmengte das Brooklyner Quintett die schön saubere Schwarz-Weiß-Dichotomie zwischen elitärem - weißen - Artschool-Punk hier und straßentauglichem - natürlich schwarzem - R'n'B dort. Die Durchbruchsplatte "Return To Cookie Mountain" war der schillerndste Bastard des Popjahres 2006, mithin die Einlösung eines Versprechens, das die Engländer Bloc Party einmal leichtfertig aufgegeben hatten. ~ Jens Szameit (teleschau) aufklappen »
Deutlicher als zuvor werden nun bei "Dear Science" die musikalischen Einflüsse einzeln erkennbar, lassen sie sich quasi wissenschaftlich sezieren. So basieren "Crying" und vor allem das ausgezeichnete "Red Dress" auf funky Chic-Gitarrenriffs und setzen sich in jeweils schon vertrauten Free-Jazz-Variationen fort. Das clever betitelte "Dancing Choose" legt einen groovenden Sprechgesang frei, der die heraufbeschworene Präsenz des New Yorker Gangsta-Raps jedoch auf sichere Entfernung hält. Etwas überraschender ist die neue Hinwendung zum violinenverzierten Schönklang. Eine eher untypische Übung für die sonst gefährlich brodelnde Formation, die in "Family Tree" wunderbar, in "Stork & Owl" nicht ganz so gut aufgeht.
Wenn "Dear Science" am Ende so etwas wie eine wissenschaftliche Lehrformel offenbart, dann fällt die sehr simpel und ganz ähnlich wie beim Vorgänger aus: Die besten Songs der Band stammen fast alle aus der Feder von Sänger Tunde Adebimpe. So der rastlos-tranceartige Opener "Halfway Home" und die räudige Geisterbeschwörung "Love Dog". Zuletzt der berauschende, ungeheuer komplexe und doch organische Groove von "DLZ", in dem sich Adebimpe nicht unpassend als eine Art Mad Professor ausweist. Eine Liebeserklärung an die Wissenschaft. Irgendwo zwischen Alchemie und Mathematik.