Unter dem Jubel der Fans betreten The White Stripes die winzige Bühne in der George Street. Feierlich hebt Meg White einen Drumstick und schlägt einmal kräftig auf die Trommel, während Jack White auf seiner Gitarre eine einzige Note anschlägt - ein C. Danach verbeugt sich das Duo grinsend und entschwindet unter den euphorischen "One more note"-Rufen des Publikums, das soeben dem kürzesten Konzert der Welt beiwohnte. Ja, die beiden Garagenrocker aus Detroit sind eben etwas anders als die anderen. Gleiches gilt für ihren Konzertfilm "Under Great White Northern Lights", der aus der Masse der Musik-DVDs heraussticht wie eine Frau im roten Kleid auf einer Party, auf der alle anderen weiß tragen. ~ Annekatrin Liebisch (teleschau) aufklappen »
Technisch gesehen ist die eineinhalbstündige Dokumentation eigentlich nichts Besonderes: Das Schlagzeug wirkt in der sonst vollen Surround-Sound-Fassung immer ein wenig dumpf, und da Regisseur Emmet Malloy sich oft auf seine Handkamera verließ, körnt das Bild recht auffällig. Interessieren wird das jedoch niemanden.
Unter anderem deshalb, weil es eine Freude ist, The White Stripes nach einer gefühlten Ewigkeit mal wieder auf der Bühne zu sehen: 2007 war das Duo zuletzt auf Tour, seither kümmert sich Jack White um seine Nebenbands The Raconteurs und The Dead Weather, Bond-Songs, sein Soloalbum und das Debütalbum seiner Frau Karen Elson. "Vorläufige Abschiedstour" nennt die Promotionagentur die 2007er-Reise deshalb. Die White Stripes selbst feierten damit ihr zehnjähriges Bestehen und erfüllten sich einen lang gehegten Wunsch: Sie wollten in allen Territorien Kanadas spielen. An Orten, an denen sonst nichts los ist. "Die Shows in Städten, in denen normalerweise keine großen Konzerte stattfinden, sind schlicht und einfach besser", fasst Jack White in der Doku zusammen, die immer mal von einem Live-Auftritt unterbrochen wird.
So tingeln die Rockstars durch die Provinz, gut nachvollziehbar durch eine animierte Karte, die offenbart, dass es in Kanada Kleinstädte gibt, die Whitehorse oder Yellowknife heißen. Am Abend geben die Jack und Meg dort Konzerte, am Tage machen sie die Bevölkerung verrückt: Spontan treten sie in winzigen Cafés auf, in Linienbussen, auf Bowlingbahnen oder an Bord eines kleinen Bootes. Fanscharen ziehen durch die Straßen, auf der Suche nach ihren Idolen, aufgescheucht durch anonyme Tipps oder verwirrte Radiomoderatoren. Nur die Inuit-Senioren bleiben cool, als The White Stripes sie im Altersheim besuchen, um mehr über die Mythologie des Ureinwohnervolks zu lernen.
Den unaufgeregten, meist in schwarz-weiß gehaltenen Bildern der Dokumentation setzt Malloy die kraftvollen, traditionell in rot gehaltenen Bühnenshows entgegen. "Jolene", "Icky Thump", "Fell In Love With A Girl" und natürlich "Seven Nation Army" - die White Stripes, die eben noch schweigend und zufrieden im Hotelzimmer saßen, bringen plötzlich die Verstärker an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Die Dynamik, der Sog, der durch diese optischen, akustischen und inhaltlichen Kontraste entsteht, reißt das Publikum mit, nimmt es gefangen, und lässt es auch nach eineinhalb Stunden nicht mehr los. Und plötzlich steht man selbst in der Menschenmenge, die laut "One more note" skandiert.