Es gibt Fälle, in denen wirkt der Umgang von Plattenlabels mit ihren größten Talenten von außen betrachtet fahrlässig bis mutwillig. Zugegeben: "More You Becomes You" war 1998 das denkbar unscheinbare Debüt des amerikanischen Songwriters Liam Hayes. Unter dem wenig klangvollen Moniker Plush spielte er eines der wundersamsten Kleinstalben des ausgehenden Jahrzehnts ein. Auf weniger als eine halbe Stunde Spielzeit kam der pianobegleitete Kammerpop, brachte seinem Schöpfer jedoch Vergleiche mit Brian Wilson, dem Harmonieheiligen schlechthin, ein. ~ Jens Szameit (teleschau) aufklappen »
2002 folgte ein weit ausschweifenderer Wurf. Das reich orchestrierte, 70er-Jahre-geschulte "Fed" erschien exklusiv in der Pophochburg Japan. Bereits sechs Jahre später erreicht das schon verloren geglaubte Album auch Europa und die US-Heimat des Komponisten. Zwar ist zu befürchten, dass die stilsichere Brillanz des Dandys weiterhin nur einen überschaubaren Kreis an Bewunderern findet. Wer aber beispielsweise das schleichende Verschwinden der fabelhaften Boo Radleys nie verkraftet hat, sollte hier errettet werden.
Hayes' Harmoniebögen nehmen auf "Fed" noch immer unerhörte Wendungen, doch lassen sie den Hörer niemals zurück. "I've Changed My Number" klingt wie eine überbordende Ben-Folds-Nummer, die dem nur noch selten so makellos gelingt. "Greyhound Bus Station" ist die Blaupause eines Bläser-verzierten Pop-Schlagers: druckvoll, süffig und punktgenau. In "Blown Away" grüßt Hayes im Vorbeischlendern den Bowie der 70-er, während durch das verschlafene "No Education" gekonnt John Barrys Bond-Thema weht.
Der Schlussteil des Albums gehört dann ganz den Crooner-Balladen. Eher bei Todd Rundgren als bei Scott Walker docken die feierliche Verzweiflung "What'll We Do?" und die perlende Melancholie von "Having It All" an. Mit den denkbar erwärmendsten Streichersätzen schlurft Hayes hier musikalisch an der West-Coast entlang und träumt zugleich von Côte d'Azur. Eines der Pop-Alben des Jahres. Reichlich spät zwar, aber doch.