Achtung, hier wird es ganz schön bunt! Beim Konsum dieser Platte bitte möglichst die Realität ausblenden. Denn Mercury Rev, Amerikas entrückteste Klangmaler, haben sich künstlerisch gesammelt und schleudern auf "Snowflake Midnight" ihren psychedelischen Wahnsinn in die Stratosphäre und wieder zurück. ~ Constantin Aravanlis (teleschau) aufklappen »
Nach dem etwas unspektakulären "The Secret Migration" und dem eher der Klassik zugewandten Soundtrack "Hello Blackbird" serviert uns das Quartett lupenreinen Space-Pop, Stimmungsschwankungen inklusive. Träumerische Elemente, seit jeher eines der Markenzeichen von Mercury Rev, gibt es freilich auch auf "Snowflake Midnight". Nur werden diese auf kurzweilige hypnotische Happen reduziert, die wahlweise von elektronischen Rhythmen oder drangsalierenden Keyboardflächen verdrängt werden. Sicherlich etwas gewagter als alles, was die New Yorker bisher so fabriziert haben, doch Kenner und Schätzer der Kombo um Mastermind Jonathan Donahue werden sich dennoch blind in diesem verschrobenen Rock-Kosmos zurechtfinden.
Das einführende "Snowflake In A Hot World" kann nach einer kurzen Periode des anschmiegsamen Herantastens als lupenreiner Acid-Rock ohne Gitarren durchgehen. Da zupft und dröhnt es, wie auf der bunten Wiese zur Bestäubungszeit. Dort gibt es "Butterfly's Wing" zu bestaunen, ein fast schon meditativer und leicht verträglicher Chillout mit pumpenden Beats zwischen den hallenden Klavierakkorden, der sich hervorragend als Vorbote für die sirenenartigen Synthies im bekifften "Senses On Fire" eignet.
Gut, dass das orchestrale Pathos in "People Are So Unpredictable" zum Verschnaufen einlädt, denn diese Pause währt nicht lange. Molekulare Spannungen werden in die kühle Herbstluft entsendet und entladen sich periodenweise in einem immer wiederkehrenden Crescendo. Die Krönung des Albums ist aber das an der Acht-Minuten-Marke kratzende "Dream Of A Young Girl As A Flower", das zwischen archaisch tönenden Breakbeats und virtuellen LSD-Synkopen hin und her schlendert.
Wer von soviel Erfindungsreichtum nicht genug bekommen kann hat Glück, denn Mercury Rev schenken uns am Veröffentlichungstag von "Snowflake Midnight" ein weiteres Album, das elf Songs enthaltende "Strange Attractor". Gibt es gratis als Download, zu finden auf mercuryrev.com. Wie es ist? Keine Ahnung, aber wahrscheinlich nicht minder beeindruckend als der große Bruder.