Grimmig, fast vernichtend starrt Jay Reatard vom Cover seines Albums "Watch Me Fall". Wäre die bleiche Mine nicht von einem Vorhang aus langem, lockigen Haar eingerahmt, könnte man ihn in seiner verkrampften Haltung und der schwarzen Kutte glatt mit Onkel Fester von der Addams Family verwechseln. Einer jüngeren Ausgabe Festers natürlich, denn Jay Reatard zählt erst 29 Lenze. Und in diesen veröffentlichte der Amerikaner auf unzählige Bands verteilt schon mehr Alben, als viele Kollegen in ihrer gesamten Karriere. Doch mit seiner zweiten Soloplatte beweist der Garagenpunk erneut, dass er auch allein sehr gut zurechtkommt. ~ Annekatrin Liebisch (teleschau) aufklappen »
Der Addams-Look auf dem Cover stellt sich gleich zu Beginn als Tarnung heraus: Weder Cembalo noch Fingerschnipsen leiten die Platte ein, sondern schnelle, schrammelnde Gitarren. Textlich mag "It Ain't Gonna Save Me" - wie das Gros der anderen Titel übrigens auch - zwar düster sein, musikalisch schlägt Reatard jedoch einen Haken Richtung Pop und gibt damit die Grob-Richtung des Albums vor.
Trotzdem lässt sich der Punk nicht dazu verleiten, sich in Refrain-Wiederholungsschleifen zu verlieren, sondern sagt nur so viel, wie wirklich nötig ist - aber dafür mit Nachdruck. So rast Reatard mit kurzweiligen Zweiminütern durch die erste Hälfte seiner Platte, bis er für "I'm Watching You" eine Vollbremsung einlegt. Von einer Ballade ist das Stück noch immer meilenweit entfernt, aber mit (fast) fröhlichem Keyboardgedudel wirkt es für Reatards Verhältnisse fast ein wenig schnulzig. Mit "Wounded" und "Rotten Mind" verzieht er sich wieder Schritt für Schritt seine unterhaltsame düstere Welt, die in "Nothing Now" äußerst bedrohlich wirkt. Doch spätestens, wenn der Sänger fröhlich "Hang Them All" skandiert, weiß man, dass alles wieder in Ordnung ist. Die Ähnlichkeit mit Onkel Fester scheint doch kein Zufall zu sein.